Maggie O´Dell 02 - Das Grauen
gegen Waffen zu verbergen. Nein, es war mehr als Abneigung, es war echte Angst.
„Ich habe ja nicht viel.“
Tess sah sich um, und merkte leicht verlegen, dass Maggie sie beobachtete. Sie fühlte sich ertappt, denn genau das hatte sie gedacht: Maggie hat wirklich nicht viel. Wie wollte sie dieses zweistöckige Haus im Tudorstil möblieren?“
„Es ist nur ... ich erinnerte mich, dass Sie erwähnten, Ihre Mutter lebt in Richmond“, versuchte Tess zu erklären.
„Ja, das stimmt“, bestätigte Maggie in einem Tonfall, der Tess verriet, dass es zu diesem Thema keine weiteren Auskünfte gab.
„Nun, dann überlasse ich Sie Ihrer Arbeit.“ Tess fühlte sich plötzlich befangen und hatte es eilig zu gehen. „Ich muss noch einigen Papierkram erledigen.“
Sie streckte ihr die Hand hin, und Maggie nahm sie höflich und mit erstaunlich festem Griff. Die Frau verströmte eindeutig Stärke und Selbstsicherheit. Aber wenn Tess sich nicht sehr täuschte, dann entsprang Maggies Wunsch nach Sicherheit einer tief sitzenden Furcht. Auf Grund der eigenen jahrelangen Erfahrung mit Verletzbarkeit und Angst hatte sie ein Gespür dafür.
„Falls Sie etwas brauchen, was auch immer, zögern Sie nicht, mich anzurufen. Okay?“
„Danke, Tess, das werde ich.“
Doch Tess wusste, sie würde es nicht tun.
Als sie aus der Einfahrt zurücksetzte, fragte sie sich, ob Spezialagentin Maggie O’Dell nur vorsichtig oder schon paranoid war, nur sorgfältig oder bereits besessen.
An der Ecke der Kreuzung bemerkte sie einen am Straßenrand geparkten Van. Sonderbar in dieser Gegend, wo die Häuser weit von der Straße zurücklagen und die Zufahrten so lang waren, dass mehrere geparkte Wagen Platz hatten.
Hinter dem Steuer saß ein Mann in Uniform mit dunkler Sonnenbrille, in eine Zeitung vertieft. Tess’ erster Gedanke war, wie eigenartig, beim Lesen der Zeitung eine Sonnenbrille zu tragen, zumal die Sonne in seinem Rücken sank. Im Vorbeifahren bemerkte sie das Firmenlogo auf der Seite des Van: „Northeastern Bell Telephone“. Sie wurde sofort argwöhnisch. Warum war der Typ so weit weg vom Standort seiner Firma? Plötzlich musste sie lachen. Vielleicht war die Paranoia ihrer Klientin ansteckend.
Kopfschüttelnd bog sie auf den Highway ab, ließ das stille Viertel hinter sich und fuhr in ihr Büro. Beim Gedanken an die stattlichen Häuser hinter riesigen Eichen und ganzen Armeen von Pinien hoffte sie, dass Maggie O’Dell sich endlich sicher fühlte.
3. KAPITEL
Maggie jonglierte die Kisten auf dem Arm. Wie üblich hatte sie eine mehr genommen, als sie sollte. An der Tür tastete sie nach dem Knauf, den sie nicht sehen konnte, ohne jedoch etwas abzustellen. Warum in aller Welt besaß sie so viele CDs und Bücher, wenn sie gar nicht die Zeit hatte, Musik zu hören oder zu lesen?
Die Möbelpacker waren nach einer gründlichen Suche nach einem fehlenden - oder wie sie sagten verlegten - Karton abgefahren. Dass der Karton noch bei Greg sein könnte, missfiel ihr. Noch mehr missfiel ihr, dass sie Greg deshalb anrufen und bitten musste, danach zu suchen. Er würde sie erinnern, dass sie auf ihn hören und die Firma United hätte beauftragen sollen. Wie sie Greg kannte, würde er den Karton, sollte er noch bei ihm sein, aus Zorn und Neugier öffnen. Sie stellte sich vor, wie er die Packstreifen abriss, als hätte er einen verborgenen Schatz entdeckt, was es für ihn ja auch war. Denn natürlich enthielt der fehlende Karton ausgerechnetdie Dinge, die sie nicht gern von anderen durchwühlen ließ: ihr persönliches Tagebuch, Terminkalender und Erinnerungsstücke aus der Kindheit.
Sie hatte im Kofferraum ihres Wagens bei den wenigen Kisten gesucht, die sie selbst transportiert hatte. Das hier waren die Letzten. Vielleicht hatten die Möbelpacker den Karton wirklich nur verlegt. Sie hoffte es und versuchte sich keine Gedanken darüber zu machen. Es war zu ermüdend, vierundzwanzig Stunden am Tag auf der Hut zu sein und sich ständig über die Schulter zu sehen.
Sie stellte die Kartons auf dem Handlauf des Treppengeländers ab, stützte einen mit der Hüfte und rieb sich mit der freien Hand den verspannten Nacken. Zugleich schaute sie sich um. Herrgott, warum konnte sie sich nicht einfach entspannen und ihre erste Nacht im neuen Haus genießen? Warum konnte sie sich nicht auf einfache, dumme Alltäglichkeiten konzentrieren wie ihren unerwarteten Hunger?
Beim Gedanken an Pizza als Belohnung lief ihr wie auf Kommando das Wasser im Munde
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