Maggie O´Dell 02 - Das Grauen
Beruf ihrer Kundin zugeschrieben. Natürlich würden FBI-Agenten den Sicherheitseinrichtungen mehr Aufmerksamkeit widmen als normale Käufer. Doch dann war ihr eine vertraute Verletzlichkeit an Maggie aufgefallen, und sie hatte sich unwillkürlich gefragt, wovor die unabhängige, selbstsicher wirkende Agentin sich abzuschotten versuchte. Selbst als sie jetzt so nebeneinander standen, blickte Maggie O’Dell in den Garten, als suche sie einen unerwarteten Eindringling. Das war nicht der stolze Blick einer Hausbesitzerin auf ihren neuen Garten.
Tess sah sich im Raum um. Viele gestapelte Kisten, aber kaum Mobiliar. Vielleicht hatten die Möbelpacker erst damit angefangen, die schweren Sachen hereinzutragen. Sie fragte sich, wie viel Maggie aus der Eigentumswohnung, die sie mit ihrem Mann bewohnt hatte, mitnehmen konnte? Sie wusste, dass eine schwierige Scheidung lief - allerdings nicht von ihrer Kundin.
Ihre Kenntnisse über Maggie O’Dell hatte sie von einer gemeinsamen Freundin, Maggies Anwältin Teresa Ramairez. Teresahatte sie Maggie als Maklerin empfohlen, und durch sie wusste sie auch von Maggies verbittertem Exmann, dem Anwalt. Von Maggie selbst wusste sie nur das, was für die geschäftliche Transaktion nötig war. Sie fragte sich ob Maggies Distanziertheit eine Berufskrankheit war, die sich aufs Privatleben auswirkte.
Die Distanz störte sie jedoch nicht. Gewöhnlich erlebte sie das genaue Gegenteil mit Kunden. Man vertraute sich ihr an wie einem Beichtvater. Die Arbeit einer Immobilienmaklerin hatte auch ein wenig von der einer Bardame. Vielleicht war ihre schillernde Vergangenheit gar keine schlechte Vorbereitung gewesen. Dass Maggie O’Dell ihr nicht das Herz ausschüttete, ging völlig in Ordnung. Sie nahm das nicht persönlich und konnte es gut nachvollziehen. Schließlich hielt sie es in ihrem Leben mit ihren Geheimnissen nicht anders. Je weniger man über sie wusste, desto besser.
„Haben Sie schon Ihre neuen Nachbarn kennen gelernt?“
„Noch nicht.“ Maggie betrachtete die Reihe riesiger Pinien, die das Grundstück wie die Mauer eines Forts säumten. „Nur die, der wir beide letzte Woche begegnet sind.“
„Ach ja, Rachel. Ich kann mich nicht an ihren Nachnamen erinnern, obwohl ich sonst ein gutes Namensgedächtnis habe.“
„Endicott“, half Maggie ihr mühelos aus.
„Sie schien sehr nett zu sein“, fügte Tess hinzu. Nach der kurzen Begegnung hatte sie sich allerdings gefragt, wie Spezialagentin Maggie O’Dell in dieser Nachbarschaft aus Ärzten, Kongressabgeordneten und Gelehrten mit ihren nicht berufstätigen, aber sehr statusbewussten Ehefrauen zurechtkam. Sie erinnerte sich an Rachel Endicott mit ihrem reinweißen Labrador beim Joggen in einem Designeranzug, teuren Laufschuhen, tadellos frisiert und keine Schweißperle auf der Stirn. Im Gegensatz dazu stand Agentin O’Dell hier in einem ausgeleierten T-Shirt, abgetragenen Jeans undeinem Paar grauer Nikes, die schon vor einiger Zeit in den Müll gehört hätten.
Stöhnend kamen zwei Männer mit einem riesigen Schreibtisch mit Rolladenfächern durch die Haustür. Sofort richtete sich Maggies Aufmerksamkeit auf den Schreibtisch, der unglaublich schwer aussah und wahrscheinlich eine Antiquität war.
„Wo soll der hin, Ma’am?“
„Dort drüben, an die Wand.“
„Inne Mitte?“
„Ja, bitte.“
Maggie verfolgte das Unternehmen, bis das Stück sicher abgestellt war.
„So gut?“
„Perfekt.“
Beide Männer wirkten erfreut, der Ältere lächelte. Der Große, Schlanke vermied es, die Frauen anzusehen. Er ging leicht gebeugt, nicht vor Schmerzen, eher so, als schäme er sich seiner Größe. Sie lösten die Plastikbänder und -schließen von den vielen Fächern des Schreibtisches. Der große Mann prüfte die Schübe, stutzte plötzlich und riss die Hand zurück, als sei er gebissen worden.
„Ma’am ... wussten Sie, dass Sie das da drin haben?“
Sie ging zu ihm, sah in die Schublade und nahm eine schwarze Pistole heraus, die in einer Art Holster steckte.
„Tut mir Leid, die hier habe ich ganz vergessen.“
Die hier? Tess fragte sich, wie viele Waffen ihre Kundin besaß. Vielleicht war ihr Sicherheitsbedürfnis doch ein wenig übertrieben, selbst für eine FBI-Agentin.
„Wir sind gleich fertig“, sagte ihr der ältere Mann und folgte seinem Kollegen hinaus, als sei nichts Ungewöhnliches dabei, eine geladene Waffe zu finden.
„Haben Sie jemand, der Ihnen beim Auspacken hilft?“ Tessversuchte ihre Abneigung
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