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Magical Mystery

Magical Mystery

Titel: Magical Mystery Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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der Papierkorb, eine Installation mit Pümpel konnte gar nicht groß genug sein, der Pümpel war in einer Installation sowas wie der Wermut im Martini-Cocktail, je weniger, desto besser, dachte ich, während ich darauf wartete, dass Dr. Selge ihren Kram mit Frau Schmidt in halblautem Ton durchgesprochen hatte, und je länger das dauerte, desto leiser wurde Dr. Selge, ein zischendes Tuscheln war das und sie guckten dabei immer öfter zu mir rüber, die trauten sich was, einen Halboder Ex-Irren oder was ich gerade für sie darstellte, so anzustarren, aber wahrscheinlich war bei Dr. Selge das Wort »Paranoia« nicht auf meinem Anamnesebogen angekreuzt!
    »So Karl, und Sie könnten doch einfach mal eben mit mir in mein Büro kommen«, sagte Dr. Selge schließlich mit einem Blick auf mich. Seit ich sie nicht mehr Tante Marianne nannte, baute sie, wenn sie mit mir sprach, immer so komische Sätze, ich war sicher nicht ihr Wunschpatient, sie wollte wohl nur meiner Mutter eine beste Freundin sein, die alte Seelenklempnerseele. Ich folgte ihr in ihr Büro und schloss die Tür hinter mir und wir waren unter uns.
    Irgendwie mochte ich an Dr. Selge, dass sie immer einen weißen Kittel anhatte, das hatte Stil und Klasse, es schaffte zugleich Distanz und Vertrauen, es war ein schönes Zeugnis dafür, dass sie eben doch mehr Psychiaterin als Analytikerin war, von Heimleiterin ganz zu schweigen, eine Couch hatte sie auch nicht in ihrem Büro, als Analytikerin war sie nur zu Hause unterwegs, im Hauptberuf teilte sie Pillen aus und legte Elektroden an die Schläfen, naja, Letzteres wohl nicht mehr, das war aus der Mode, und die meiste Zeit verbrachte sie wohl sowieso damit, das Kinderkurheim Elbauen stümperhaft zu verwalten, aber mir gefiel der Gedanke, dass sie insgeheim eine von diesen Horrorfilmpsychiatern war, so doktormabusemäßig, wie sie mit blutverschmiertem Kittel Schädel öffnete und darin herumfuhrwerkte und Frau Schmidt nebenbei qualmend elektroschockte, das war zwar ziemlicher Quatsch, aber es half einem über die Zeit hinweg, in der man in ihrem Büro abhängen und darauf warten musste, dass sie sich endlich an ihren Schreibtisch gesetzt hatte, einem endlich einen Stuhl angeboten hatte, endlich die nötige Akte aufgeschlagen hatte, endlich unter Seufzen und Stöhnen ein paar Seiten darin umgeblättert hatte, sich endlich die Brille abgenommen, die Augen gerieben und die Brille wieder aufgesetzt hatte, sie machte es gern spannend, denn gespannt war ich, da musste man sich nichts vormachen, dies war nicht eine der regelmäßigen Kontrollsitzungen, in denen sie meine Entwicklung ohne die Pillen kontrollierte, das musste nämlich »engmaschig« geschehen, wie sie es immer nannte, »engmaschige Kontrolle des Verlaufs«, das war ihr Ding, aber dafür war es zu früh in der Woche, so engmaschig schossen die Verlaufskontrollpreußen dann doch nicht, »diese Substanzen bauen sich langsam ab, das dauert«, hatte Dr. Selge beim letzten Mal gesagt und wenn ich mich richtig erinnerte, war die nächste Verlaufskontrolle erst in zwei Tagen fällig. Es sah auch nicht so aus, als wollte sie mir gleich den Blutdruck messen und den ganzen anderen Kram machen, mit dem sie sonst immer die Verlaufskontrollsause eröffnete, sie hatte ja auch viel zu viel mit Augenreiben zu tun, das war nicht ihr Tag, das konnte man gleich sehen, nur äußerstes Pflichtgefühl hielt sie bei der Stange. Wahrscheinlich hatte sie vom Vortag noch einen sitzen, vielleicht hatte sie eine kleine Rotweinsitzung mit meiner Mutter unternommen, ihr Weinkeller war legendär, jedenfalls bei mir, eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen war eine Unterhaltung meiner Eltern über den Weinkeller von Tante Marianne, und nun fing sie endlich an zu reden, mein Gott, inzwischen dürfte sogar Rüdigers Kaffeemaschine, die im Keller an ihrer zweiten Runde arbeitete, in die Zielgerade eingebogen sein.
    »Das ist mir jetzt unangenehm, Karl, aber ich habe erst jetzt bemerkt, dass Sie noch vier Wochen Urlaub aus dem letzten Jahr übrig haben. Sie haben ja überhaupt keinen Urlaub genommen im letzten Jahr. Ich weiß gar nicht, wie Herr Wieczorek das übersehen konnte.«
    Das war gelogen, sie wusste ganz genau, wie der liebe Rüdiger das übersehen konnte, er konnte es genauso übersehen, wie er alles andere übersehen konnte, das nicht auf Flaschen gezogen war.
    »Das ist nach dem BAT, nach dem Sie ja hier eingestellt sind, eigentlich schon mal überhaupt nicht zulässig. Das sind

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