Magical Mystery
aufeinander abgestimmt an ihren Zigaretten, immer erst Werner, dann die anderen hinterher, ich wohnte jetzt seit über vier Jahren hier und war immer noch Außenseiter, schon weil ich beim Plenum beim Rauchen fertige Zigaretten rauchte, ich kaufte sie mir immer extra vor dem Plenum und jedesmal eine andere Sorte, nur um ein Zeichen zu setzen gegen die ewige Zigarettendreherei, die hatte immer was von therapeutischer Bastelstunde.
»Die Frau leitet einen öffentlichen Betrieb und hat überhaupt keine Ahnung, was im Rahmentarifvertrag steht«, machte Werner gutgelaunt weiter, »ist die krank oder was?!«
»Die ist Psychiaterin«, sagte ich, um ihn am Laufen zu halten.
»Ja, dann soll sie halt Schädel aufbohren oder was, aber keinen Betrieb des öffentlichen Dienstes leiten! Jedenfalls bist du ab Montag im St. Magnus für vier Wochen und aus die Maus, die holen dich am Bahnhof Uelzen ab, genau wie beim letzten Mal, ist alles schon organisiert, Fahrkarte hab ich auch schon gekauft.« Er streckte die Zungenspitze raus und zupfte mit Daumen und Ringfinger der rechten Hand einen Tabakkrümel weg. »Die wollte mir erst noch erzählen, ich dürfte das nicht, das müsste sie entscheiden, da hab ich ihr aber schön was erzählt, da kann sie noch so gute Verbindungen zur Behörde haben, Rahmentarifvertrag ist Rahmentarifvertrag. Außerdem hast du dreimal mehr Überstunden als erlaubt, die musst du demnächst auch noch abfeiern, wusstest du das eigentlich?«
»Wieso muss das denn so schnell gehen? Und wieso St. Magnus? Da hättest du mich doch mal fragen können! Und ich muss dem das doch noch mit dem Tierefüttern zeigen, was soll denn aus den Tieren werden?!«
»Die Friedhöfe sind voll von unverzichtbaren Leuten«, sagte Werner. »Guck mich an, ich fahr am Wochenende in Urlaub …«
»Ich dachte, erst Supervision«, sagte Klaus-Dieter.
»… und Supervision, ab Samstag bin ich weg, deshalb habe ich mich da auch noch schnell drum gekümmert, sowas kann man Gudrun nicht überlassen, wenn Gudrun erstmal mit sowas …«
In diesem Moment klingelte das Telefon.
Werner verstummte und schaute mich an. Dann zog er an seiner Zigarette. Die anderen taten es ihm nach. Ich holte meine Gitanes Mais raus, schob die kleine, elegante Schachtelschublade auf, entnahm ihr einen senfgelben Stengel und klopfte ihn auf dem Daumennagel fest, während das Telefon klingelte und alle mich anstarrten. Nach sechsmal Klingeln ging der Anrufbeantworter ran und alle konnten mithören, wie Werner mit seiner staatlich geprüften Sozialpädagogenstimme sagte: »Dies ist der automatische Anrufbeantworter der Selbsthilfe-Wohngemeinschaft Clean Cut 1: Sie können nach dem Signal eine Nachricht hinterlassen. Sie haben dafür dreißig Sekunden Zeit. Bitte vergessen Sie nicht, Ihre Telefonnummer und Ihren Namen zu hinterlassen, damit wir Sie zurückrufen können.«
Dann piepte es und die Stimme von Raimund Schulte quakte durch den Raum: »Ja, jetzt also, dreißig Sekunden, dreißig Sekunden finde ich eigentlich ein bisschen knapp, also hier ist Raimund, ich will eigentlich Charlie sprechen, aber er kann mich ja anrufen, er kann hier im Büro anrufen, hier ist jeden Tag einer ab zehn Uhr oder so, was weiß ich, wann die hier kommen, jedenfalls anrufen, ist eigentlich immer einer da, Moment eben, jetzt weiß ich die Nummer vom Büro hier gar nicht, Ferdi, hast du mal eben die Nummer … – nein, die vom Büro … – na von diesem Büro hier, welches Büro denn sonst, hast du noch ein anderes? Charlie, der soll hier zurückrufen, jetzt gib mir doch mal die Nummer, schnell, der Anrufbeant…«
Damit waren die dreißig Sekunden vorbei. Alle schauten mich an.
»Hat mal einer Feuer?«, fragte ich.
»Vielleicht sollte man darüber mal reden, Charlie«, sagte Werner eisig. »Sind das dieselben Leute wie die von heute Morgen?«
»Das war nur einer, Werner, das war Raimund Schulte, ein alter Kumpel aus Berlin.«
»Und woher hat der unsere Nummer, woher hat der die Nummer von Clean Cut 1, wenn der in Berlin wohnt?«
»Ich hab den neulich mal getroffen, zufällig.«
»Soso, zufällig. Und wo?«
Das Telefon klingelte wieder, und man konnte merken, wie alle mitzählten, man sah es ihren Gesichtern an, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, dann ging wieder Werners Stimme los, der Anrufbeantworter war ein Riesending aus der Steinzeit der Telefonie, eine Art Tonbandmaschine mit zwei Bandsystemen, das eine spielte Werners Helferleinstimme ab und spulte danach
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