Magier von Moskau
um die entwichene Tochter mit Gewalt zurückholen zu lassen. Nun aber hatte Marja Iwanowna Mironowa die Volljährigkeit erreicht und konnte ihr Leben nach eigenem Gutdünken gestalten. Auch über ihr Erbe, das die Tante ihr vermacht hatte, durfte sie nun frei verfügen. Das Kapital war nicht groß, nur fünfhundert Rubel, doch für ein halbes Jahr reichte es selbst in dem bekanntermaßen kostspieligen Moskau, und für eine längere Frist vorauszuplanen war abgeschmackt und phantasielos.
Sie nannte dem Kutscher das Hotel »Elysium«, von dem sie schon in Irkutsk gehört und dessen quecksilbrig perlender Name sie bezaubert hatte.
Während der Fahrt blickte sie immerzu auf die großen Steinhäuser und auf die Ladenschilder und fürchtete sich schrecklich. Die Stadt war riesig, eine Million Einwohner, und keiner von ihnen,
kein einziger,
interessierte sich für sie, für Mascha Mironowa.
Warte nur, drohte sie der STADT, du wirst mich noch kennenlernen. Ich werde dir Begeisterung und Zorn abringen, und deine Liebe brauche ich nicht. Selbst wenn du mich zermalmst zwischen deinen steinernen Kiefern, egal. Einen Weg zurück gibt es nicht.
|16| Sie wollte sich selber Mut machen, wurde aber immer zaghafter.
Und vollends ließ sie den Kopf sinken, als sie die elektrisch angestrahlte Kristall- und Bronzepracht in der Hotelhalle des »Elysium« sah. Sie schämte sich, während sie sich in das Registrierbuch eintrug und »Marja Mironowa, Oberoffizierstochter« schrieb, obwohl sie sich einen besonderen Namen hatte geben wollen, Annabella Grey oder einfach Colombina.
Na wenn schon, Colombina würde sie ab morgen heißen, nachdem sich der graue Provinzfalter in einen buntgeflügelten Schmetterling verwandelt hatte. Dafür hatte sie das teuerste Zimmer genommen, mit Blick auf den Fluß und den Kreml. Mochte die Nacht in dieser vergoldeten Bonbonniere auch fünfzehn Rubel kosten! An das hier würde sie sich bis ans Ende ihrer Tage erinnern. Und gleich morgen würde sie sich nach einer schlichteren Bleibe umsehen. Eine Mansarde sollte es sein, vielleicht gar eine Bodenkammer, damit niemand in Filzpantoffeln über ihrem Kopf herumschlurfen konnte, sondern nur das Dach über ihr wäre, auf dem graziöse Katzen schlichen, und weiter oben der schwarze Himmel und die gleichgültigen Sterne.
Mascha blickte eine Weile auf den Kreml und packte ihre Koffer aus, dann setzte sie sich an den Tisch, schlug das in Saffian gebundene Heft auf, dachte, am Bleistift knabbernd, ein Weilchen nach und schrieb:
»Heutzutage führen alle Tagebuch, alle wollen bedeutender erscheinen, als sie sind, wollen vor allem das Sterben besiegen und über den Tod hinaus leben, und sei es in Form eines in Saffian gebundenen Hefts. Allein das sollte mich davon abhalten, ein Tagebuch zu führen, habe ich doch schon vor |17| einer ganzen Weile, am ersten Tag des neuen, zwanzigsten Jahrhunderts beschlossen,
nicht so zu sein wie alle.
Und doch sitze ich da und schreibe. Aber das wird kein sentimentales Seufzen sein, mit gepreßten Vergißmeinnicht zwischen den Seiten, sondern ein richtiges Kunstwerk, wie es das bisher in der Literatur nicht gegeben hat. Ich schreibe Tagebuch nicht, weil ich den Tod fürchte oder etwa fremden Menschen gefallen will, die irgendwann diese Zeilen lesen. Was kümmern mich die Menschen, ich kenne sie nur zu gut und verachte sie. Und den Tod fürchte ich überhaupt nicht. Warum sollte ich, wo er doch ein natürliches Gesetz des Daseins ist? Alles, was geboren wurde, also einen Anfang hat, muß früher oder später auch ein Ende finden. Da ich, Mascha Mironowa, vor einundzwanzig Jahren und einem Monat zur Welt gekommen bin, wird unumstößlich auch der Tag kommen, an dem ich diese Welt verlasse, daran ist nichts Besonderes. Ich hoffe nur, daß dies geschieht, bevor sich mein Gesicht mit Runzeln überzieht.«
Sie überlas das Geschriebene, verzog das Gesicht und riß das Blatt heraus.
Was war das schon für ein Kunstwerk? Viel zu platt, zu fad, zu gewöhnlich. Sie mußte lernen, ihre Gedanken (für den Anfang zumindest auf dem Papier) feinsinnig, wohlduftend, berauschend darzulegen. Die Ankunft in Moskau galt es ganz anders zu beschreiben.
Mascha dachte wieder nach und knabberte dabei nicht am Bleistift, sondern an ihrem üppigen goldblonden Zopf. Dann neigte sie den Kopf wie eine Gymnasiastin und schrieb:
»Colombina traf an einem stillen fliederblauen Abend in der STADT DER TRÄUME ein, beim letzten Seufzer eines |18| trägen,
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