Magisches Spiel
gewesen, eigene Kinder zu gebären. Sie hatte Tansy adoptiert und wünschte sich für sie all die Dinge, die sie selbst nicht hatte haben können.
»Bist du sicher, Tansy?«, fragte Sharon. »Ich kann dir nicht helfen, wenn du so weit weg bist. Ich weiß nicht, ob du gesund und glücklich bist. Bist du es? Bist du es wirklich, Tansy?«
Diesmal war nicht zu überhören, dass ihre Stimme brach, und Tansy zerriss es das Herz. »Es ist alles in Ordnung, Mom. Mir fehlt nichts«, sagte sie leise. »Ich bin glücklich hier. Ich bin produktiv. Ich kann von meinen Fotografien gut leben, und ich liebe meine Arbeit wirklich. Hier draußen fühle ich mich innerlich frisch und rein.«
»Ich möchte nur nicht, dass du dein Leben lang allein bist«, sagte Sharon. »Ich wünsche mir, dass du jemanden findest und von ihm so geliebt wirst, wie dein Vater mich liebt.«
Tansy presste sich die Finger auf die Augen. Sie war erschöpft und konnte das Leid und die Enttäuschung in der Stimme ihrer Mutter hören – sie war nicht enttäuscht von ihr, das wusste sie, sondern um ihretwillen.
»Ich liebe euch beide«, sagte Don mit fester Stimme. »Und das ist für den Moment mehr als genug, nicht wahr, Tansy, Liebling?«
Selbstverständlich wünschte sie sich einen Mann und Kinder, aber sie wusste, dass es ausgeschlossen war. Diese Tatsache hatte sie akzeptiert und ihr Vater ebenfalls. Sie liebte ihn nicht zuletzt deshalb, weil er die Fähigkeit besaß,
zu verstehen, wie riesig ihre Unzulänglichkeiten waren, und sie trotzdem zu lieben. Sie fühlte sich in seine Liebe eingehüllt.
»Und wie, Dad«, stimmte sie ihm zu und meinte es ernst. »Ich bin wirklich glücklich, Mom. Und ich bin nicht krank. Sogar die Kopfschmerzen sind verschwunden.«
»Vollständig?«, fragte Don. Seine Stimme klang erschüttert und voller Hoffnung.
Tansy lächelte und war froh darüber, dass sie die Wahrheit sagen konnte. »Ganz und gar, Dad.« Und danke für all die Nächte, in denen du an meinem Bett gesessen hast, wenn ich nicht schlafen konnte , fügte sie stumm hinzu.
»Das ist ja wunderbar, mein Liebes.« Aus Sharons Stimme war gewaltige Erleichterung herauszuhören.
»Brauchst du etwas? Sollen wir dir mehr Vorräte schicken? Ich werde sie von einem unserer Piloten abwerfen lassen.«
»Ich schreibe eine Liste und gebe sie euch morgen durch. Jetzt brauche ich Schlaf. Ich war die ganze Nacht auf.«
»Pass auf dich auf, Tansy«, sagte ihre Mutter, deren Stimme jetzt wieder normal klang, optimistisch und beschwingt, als könnte sie Tansy mit ihrem überschwänglichsten Tonfall den Rücken stärken. »Wenn du nicht bald zurückkommst, werden dein Vater und ich bei dir vor der Tür stehen.«
Don schnaubte, und Tansy brach in schallendes Gelächter aus. »Okay, Mom. Nur noch wenige Wochen, und ich werde wieder zu Hause sein.« Sie machte zum Abschied Kussgeräusche und beendete das Gespräch mit dem Gefühl, Glück gehabt zu haben und dankbar dafür zu sein, dass Don und Sharon ihre Eltern waren.
Sie hatte sich stets von ihnen geliebt gefühlt, obwohl sie so anders war. Sie war schon immer anders gewesen. Als sie klein war, war es ihr ein Gräuel gewesen, Gegenstände zu berühren. Sogar Geschirr und Besteck hatten genügt, um sie aus der Fassung zu bringen. Dann hatte sie geweint und sich gewiegt und war derart außer sich geraten, dass ihre Eltern sie abwechselnd getröstet hatten, mit ihr auf und ab gelaufen waren und ihr vorgesungen hatten. Die Schule war für sie ein Alptraum, und am Ende hatten sie Privatlehrer für sie engagiert – und ihrer Mutter hatte es das Herz gebrochen.
Tansy seufzte. Sie hatte sich so sehr gewünscht, dieses Mädchen zu sein, an dessen Leben ihre Mutter teilhaben konnte. Die College-Bälle, das intime spätnächtliche Getuschel, die wundervolle märchenhafte Hochzeit – all das würde ihre Mutter nie haben, und Tansy wünschte es ihr ebenso sehr, wie ihre Mutter Tansy dieses Leben wünschte.
Endlich war ihr, nach Monaten im Krankenhaus, klargeworden, dass sie dieses Mädchen nicht sein konnte. Und dass sie dieses Mädchen niemals sein würde. Sie hatte sich selbst als das akzeptiert, was sie wirklich war, mit all ihren Macken und Unzulänglichkeiten, und es war ihr gelungen, sich ein neues Leben aufzubauen. Hier in der Wildnis war sie zufrieden und sogar glücklich.
Tansy schaltete das Funkgerät aus und lief den Pfad hinunter, der zu dem natürlichen Felsbassin führte. Der Weg dorthin war lang und gewunden, aber
Weitere Kostenlose Bücher