Magma
ich das also so verstehen, dass Sie trotz Ihrer Vorkenntnisse nicht auf das Vergnügen meiner Vorlesung verzichten möchten?«
Zustimmendes Gemurmel erklang.
Ella lächelte. »Ich fühle mich geehrt. Wirklich. Machen Sie es sich aber nicht zu bequem. Ich muss Sie warnen. Vorlesungen machen den Verstand träge. Sie zerstören das Potenzial für authentische Kreativität. Außerdem verursachen diese Sitzbänke Haltungsschäden, ich spreche da aus Erfahrung. Wenn Sie der Meinung sind, genug gehört zu haben, zögern Sie nicht. Gehen Sie raus an die frische Luft. Forschen Sie vor Ort. Lernen Sie von der Natur, lernen Sie aus erster Hand. Entwickeln Sie eigene Ideen, und dann veröffentlichen Sie sie. Das ist der beste Weg zu Ruhm und Ehren. Aber bis sie so weit sind, dürfen Sie natürlich gern hierbleiben. Vielleicht gibt es ja noch das eine oder andere, was neu für Sie ist.«
Es wurde still im Hörsaal. Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören. Die Luft knisterte vor Konzentration.
Ella atmete tief durch, als sie ihre Unterlagen aus der Aktentasche holte und vor sich auf dem Pult ausbreitete.
»Geologie ist, wie die meisten von Ihnen sicher wissen, die Lehre von den Vorgängen im Inneren der Erde. Die Tektonik und die Seismologie, zwei ihrer wichtigsten Teilbereiche, befassen sich mit den für uns spürbaren und sichtbaren Vorgängen. Konkret gesagt, den Erdbeben und Vulkanausbrüchen. Der scheinbar so feste Untergrund, auf dem wir uns bewegen, ist nur eine dünne Kruste, die auf einem zähflüssigen Untergrund schwimmt. Vergleichen wir die Kontinente mit Styroporplatten, die sich in einem Becken mit heißem Wasser befinden, ergeben sich in beiden Fällen nach kurzer Zeit Konvektionsströmungen, die die Platten brechen und auseinanderdriften lassen …«, sie wandte sich der Tafel zu und begann, eine schematische Darstellung der Prozesse im Erdinneren zu zeichnen.
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, die hinaus in die Vorhalle führte. Herein kam Dekan Jaeger, der Vorsitzende der geologischen Fakultät, eine Respekt einflößende Persönlichkeit. Obwohl er kurz vor der Emeritierung stand, hatte er immer noch den entschlossenen Gang eines jungen Mannes. Seine Bewegungen waren kraftvoll und energisch. Die Haut in seinem Gesicht war braun und wettergegerbt, seine Wangen schmal. Seine schlohweißen Haare und die stechend blauen Augen ließen ihn wie einen betagten Seeadler wirken. In seinem Schlepptau betrat Professor Sonnenfeld den Hörsaal – Ellas Kollege aus dem Bereich Mineralogie, ein schlanker Mann mit Vollbart, der seine langen, mit grauen Strähnen durchsetzten Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Die Gesichter der beiden Dozenten wirkten ernst und würdevoll. Jaeger winkte Bob Iverson zu sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Ella runzelte die Stirn. Was sollte dieser dramatische Auftritt? Mit erhobenem Arm, die Kreide an der Tafel, sah sie zu den dreien hinüber. Erst als Bob zu ihr eilte, ließ sie ihren Arm sinken.
»Ella, der Dekan wünscht, dass du ihn umgehend in sein Büro begleitest«, flüsterte er. »Professor Sonnenfeld wird hier solange für dich übernehmen.«
»Hat er gesagt, was er will?«
»Nein. Nur, dass du bitte sofort kommen sollst.«
Jetzt hatten auch die letzten Studenten im Hörsaal mitbekommen, dass etwas Ungewöhnliches im Gange war, und mit einem Mal setzte wieder Getuschel ein. Dekan Jaeger, dem es augenscheinlich missfiel, dass Ella ihn so lange warten ließ, hob die Hände und rief mit fester Stimme: »Meine Damen und Herren, beruhigen Sie sich. Ich bitte um Entschuldigung, dass ich Ihre Dozentin entführen muss, aber ihre Anwesenheit wird an anderer Stelle benötigt. Professor Sonnenfeld wird die Vorlesung fortführen. Ich möchte Sie bitten, dass Sie ihm die gleiche Aufmerksamkeit zukommen lassen wie zuvor Dr.Jordan.«
»Was ist denn geschehen? Ist das Weiße Haus von einem Ascheregen verschüttet worden?«, rief ein vorwitziger Student von der linken Seite herüber. Jaeger ignorierte den Zwischenruf souverän.
»Vielleicht ist der Kongress in einer Erdspalte verschwunden«, hörte man die Stimme einer Studentin.
Gelächter brandete auf.
»Wie steht es um den Präsidenten?«
Jaeger warf einen stechenden Blick in die Menge, und sofort verstummte der Lärm. »Bitte entschuldigen Sie uns«, und mit einem strengen Blick in Ellas Richtung fügte er hinzu: »Wenn ich Sie dann bitten dürfte, Dr.Jordan?«
Ella legte die Kreide ins
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