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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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für das Leben des Einzelnen gilt, gilt auch für unsere Geschichte.
    Wenn ein Mensch aus dem Atomzeitalter einem Zeitgenossen erzählt hätte, er sei auf einer Party gewesen und da war einer, der habe Wasser in Wein verwandelt, und sei anschließend auf einem nahen See umhergewandelt, ohne unterzugehen, so hätte der Angesprochene ihm nicht geglaubt. Lag das gleiche Geschehen jedoch zweitausend Jahre zurück, so waren Millionen von Christen bereit, das völlig Unmögliche zu akzeptieren.
    Märchen beginnen mit: »Es war einmal vor langer Zeit«, und das gilt auch für die Religionen, deren Wunder sich alle vor langer Zeit ereignet haben. Hütet euch vor der Vergangenheit voller Mythen und Legenden. Sie ist eine verlogene Verführerin.
    Es gibt keinen besseren Weg, die Vergangenheit abzuschaffen, als das Vergessen. Vergessen-Können ist das Geheimnis ewiger Jugend. Menschen werden alt durch Erinnerungen. Die neue Gesellschaft ist jung. Sie kennt keine Heiligen und Helden. Wir singen nicht die alten Lieder und feiern nicht die Feste unserer Vorfahren. Liebevolle Beschäftigung mit der Vergangenheit empfinden wir so abstoßend, als würde man Verdautes ausspeien, um sich noch einmal daran zu erbauen. Wir befassen uns mit der Geschichte wie ein Arzt mit der Krankheit. Alles muss unternommen werden, damit der überwundene Wahnsinn nicht wieder ausbricht.
    Die Blühenden interessieren sich nicht für das, was früher einmal war. Sie erleben die Welt wie Kinder, und die leben in der Gegenwart. Ich aber bin eine Ordensfrau, und die stehen außerhalb der neuen Menschheit. Wir altern noch wie die Tiere. Unser Leben erlischt irgendwann. Für alle anderen wurde das zufällige Lebensende abgeschafft. Ihre Todesstunde steht wie der Sonnenuntergang unabänderlich fest. Mag ein Tag auch noch so schön gewesen sein, wenn die Sonne versinkt, ist er vorbei, und niemand bricht deshalb in Wehklagen aus. Dafür stirbt keiner mehr zufällig. Wir haben das Leben nicht verlängert, aber vertieft. Wir haben ein beglückendes Fest daraus gemacht. Wird ein Fest schöner, wenn es länger währt?
    Vierzig Sommer in unbeschwerter Jugend, ohne Krankheit und körperlichen Verfall. Welch ein Geschenk!
    Wenn heute eine Frau – ganz gleich welchen Alters – in den Spiegel blickt, schaut sie in das Gesicht eines jungen Mädchens, das sich altersmäßig nicht von den anderen Mädchen unserer Inseln unterscheidet. Asra meint zwar, dass sich unser Alter von den Augen ablesen lässt, an der Art, wie wir uns bewegen, wie wir sprechen. Und gewiss hat sie recht. Der Mensch ist viel mehr als sein Leib. Auch wenn das heute nicht mehr so offenkundig ins Auge fällt wie früher, als ein Siebenjähriger sich von einem Siebzigjährigen so grundsätzlich unterschied wie ein Hühnerküken von einem ausgewachsenen Hahn. Wie grausam muss das gewesen sein, als die Menschen mit faltiger Haut dahinschrumpften wie zu lange gelagerte Äpfel. Und je mehr sie sich bemühten, ihren endgültigen Verfall hinauszuschieben, desto unlösbarer wurden die damit verbundenen Probleme, denn vermehrt wurde ja nicht nur die Lebenszeit, sondern auch und vor allem die Altersleiden. Die steigende Flut der Greise konnte am Ende nicht mehr von den Jungen versorgt werden, zumal immer weniger Kinder geboren wurden, nicht weil Männer und Frauen keine Freude mehr aneinander gefunden hätten, nein, ganz im Gegenteil, nie zuvor gab es so freizügiges Liebesleben mit potenzsteigernden Drogen und legalen Abtreibungen. Dank der Medizin konnten Frauen bis ins hohe Alter gebären. Aber man wollte keine Kinder. Man empfand sie als Einschränkung seiner Lebensgestaltung.
    Die Menschheit war krank, todkrank. Sie wurde nicht, wie damals allgemein befürchtet, von Atombomben, ausgerottet. Sie ging nicht an unvorhersehbaren Seuchen zugrunde, sie fand auch nicht ihr Ende in einer Bevölkerungslawine von immer mehr Neugeborenen, nein, ganz im Gegenteil, ihre unfruchtbare Langlebigkeit hätte sie beinahe umgebracht.
    Nicht die Brennstäbe in den Kernreaktoren schmolzen unkontrolliert dahin, nicht die Polkappen, sondern die Menschen. Durch entvölkerte Städte wehte der Wind wie über abgeerntete Felder. Die demokratischen Strukturen zerbrachen. Die parlamentarische Ordnung wich der Gewalt. Alte, zu Alte hausten in den Großstädten. Das Ende der Menschheit zeichnete sich ab. Wir haben das, der Vernunft sei Dank, verhindert.
    Persönliche Erinnerungen sollen diese Zeilen hier werden, eine rückwärts gerichtete

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