Magna Mater - Roman
will, dass du bleibst.«
»Wie lange noch?«
Er überhörte meine Frage. »Ihr Ordensfrauen lebt wie die Einsiedlerkrebse, eine jede in ihrer eigenen Behausung, fernab voneinander. Die Sehnsucht nach einem Menschen kann es da wohl kaum sein, die dich heimwärts zieht.«
»Ich sehne mich nach meinem Haus über dem Meer.«
»Dafür habe ich Verständnis. Eine, die wie du mit Flügeln geboren wurde, sollte nicht in einer Höhle hausen. Unsere Felswand ist keine Bleibe für dich. Wir werden dir ein Haus bauen wie daheim. Dort kann dich Jasmin oder – wie nennst du ihn? – Jakaranda besuchen.«
»Was soll ich mit einem Haus? Ich bin ohne Aufgaben. Ich bin eine Frau, die einzige Frau auf Arkadia.«
»Keine versteht so viel vom Gebären wie eine, die ein Kind geboren hat. Du wirst die neue Generation in die Welt heben.«
»Wann und wo?«
»Alles beginnt und alles endet zur rechten Zeit und am rechten Ort.«
Mein Heimweh war schlagartig verflogen.
Die Brutzentrale, verborgen wie ein kostbarer Schatz, endlich würde ich sie erleben. Ich war so aufgeregt, dass ich alles andere um mich herum vergaß, mein Heimweh, meine Ängste, selbst den Schlaf. Ich lag wach und vermochte nicht zu glauben, was sich mir da eröffnete. Welch ein Wandel!, dachte ich. Vor wenigen Tagen noch gejagt wie ein Wild und vom Tod bedroht, fühlte ich mich jetzt so hoch erhoben, dass mir davor schwindelte.
Als ich Karras von dem Angebot berichtete, vermochte der es nicht zu fassen. »Noch nie wurde das Geheimnis der Geheimnisse einem Uneingeweihten offenbart.« Er betrachtete mich wie eine unwirkliche Erscheinung und meinte kopfschüttelnd: »Ein weiblicher Skarabäus. Wie kann das sein? War Rufus zugegen, als der Alte dir das Angebot gemacht hat?«
»Ja, warum fragst du?«
»Nimm dich vor ihm in Acht.«
Bevor ich weitere Fragen an ihn richten konnte, sagte er mit ironischem Unterton: »Als eine von uns solltest du die Laboratorien kennenlernen. Ich arbeite zur Zeit an einem interessanten Projekt.«
Ich dachte mit Grauen an die Leichen der Frauen im Fledermausturm und wollte schon ablehnen, überlegte es mir aber anders, als er mir erzählte, er arbeite mit Fledermäusen. Zu meiner Enttäuschung zeigte er mir jedoch keine Fledermäuse, sondern ein paar winzige Insekten in einem Glas.
»Es gibt auf unseren Inseln Fledermäuse, die das Blut von Rindern und Eseln trinken. Auf diesen Blutsaugern leben flügellose Fliegen. Und die ernähren sich von Fledermausblut.« Er hob das Glas in Augenhöhe, um sie mir zu zeigen. »Diese seltsamen Fliegen legen keine Eier, wie das andere Insekten tun. Sie lassen die Eier und Larven im mütterlichen Körper heranreifen, um sie als fertige Puppen zur Welt zu bringen.«
Er machte eine Pause, um das Wunder auf mich einwirken zu lassen, und fuhr dann fort: »Eine Fliege ohne Flügel, die fertige Puppen gebiert, ist fürwahr ein Kuriosum. Aber noch erstaunlicher erscheint mir, dass auf diesen Fliegen Winzlinge leben, die sich von deren Saft ernähren. Am Ende triumphieren wieder einmal die Kleinsten.«
»Gewiss«, sagte ich, »und damit sind wir wieder bei eurem kleinen Gott.«
Karras überhörte meinen Einwurf. »Ja, die gesamte Kleinstwesenwelt ist ein riesiges Wunderland. Insekten waren die ersten Lebewesen, die sich in die Lüfte erhoben. Für Hunderte von Millionen Jahren gehörte der Himmel ihnen ganz alleine. Und auch der Boden gehört ihnen. Für sie ist die Erde immer noch eine unberührte Wildnis. Denn wahre Wildnis herrscht nicht in unerforschten Urwäldern, sondern unter jedem Blatt, unter jedem Stein, in jedem morschen Baumstamm. Unzählige Raubtiere: Käfer, Ameisen, Asseln, Würmer, zerfleischen sich dort gegenseitig und ununterbrochen in unvorstellbarem grausigem Gemetzel.«
»Übertreibst du da nicht ein bisschen?«
»Ich will dir etwas zeigen.« Er öffnete eine kleine Schachtel und entnahm ihr etwas, das wie eine tote Biene aussah: »Das ist eine Kuckuckshummel. Sie begeht nicht nur Massenmord, sie versklavt ganze Völker. Hast du je von ihrem Vernichtungsfeldzug gehört?«
Und als ich mit dem Kopf schüttelte, erklärte er mir: »Sie dringt in ein fremdes Volk ein, tötet die Königin und den gesamten Nachwuchs in den Waben, um sie mit ihren Eiern zu belegen, die dann von den Arbeiterinnen des unterworfenen Staates großgezogen werden. Ein wahrer Völkermord!«
»Grausam«, sagte ich.
»Das ist nichts gegen die Grausamkeit einer Wespe, die Käferlarven mit ihrem Stich lähmt und in
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