Magnus Jonson 01 - Fluch
er zu sehr mit Ingileif beschäftigt, um mitzubekommen, was um ihn herum vorging.
Magnus warf sich auf Pétur. Sie wälzten sich an den Abgrund.
Pétur wand sich, riss sich los und kam langsam auf die Füße. Schwankend stand er am Rand des Felsens über dem Fluss.
Magnus starrte ihn an, in einem Meter Abstand. Er hatte nicht vor, im Todeskampf mit Pétur vereint in den Abgrund zu stürzen. Eine Verhaftung würde schwierig werden. Zum einen hatte Magnus keine Handschellen dabei. Er wusste nicht, was er tun würde, falls es ihm gelingen sollte, Pétur zu überwältigen – vielleicht könnte sich Steve Jubb eine Stunde auf ihn setzen, bis Vigdís auftauchte. Hätte er sich nicht in diesem Micky-Maus-Land befunden, dann hätte er natürlich eine Waffe gehabt, die alles sehr viel einfacher gemacht hätte. Aber so ...
Magnus merkte, dass Pétur ihn abschätzte. Pétur war groß und schlank. Auch Magnus war groß, und er wusste, dass man ihmansah, wie gut er sich verteidigen konnte. Normalerweise legte sich niemand mit Magnus an.
Er hörte ein Stöhnen hinter sich. Ingileif. Gott sei Dank war sie wenigstens am Leben.
»Gut, Pétur«, sagte Magnus mit ruhiger Stimme. »Es wäre besser, wenn du jetzt aufgibst. Du hast keinen anderen Ausweg mehr. Komm mit!«
Pétur zögerte. Dann warf er einen Blick hinter sich auf den brodelnden Fluss und die aus dem Wasser ragenden Felszacken. Ein Schritt, und er war verschwunden.
Magnus ging an den Rand und schaute hinunter. Er konnte einen Pfad erkennen, eher eine Reihe von Griffen und Tritten, die zu einigen Felsen tief unten führten. Er sah, dass es eventuell möglich wäre, daran entlang bis fast hinunter zum Fluss und dann wieder flussaufwärts zu klettern.
Magnus eilte Pétur nach. Durch die Gischt waren die Steine unglaublich rutschig; Magnus hatte große Probleme, nicht den Halt zu verlieren. Pétur ging immer größere Risiken ein, gewann Vorsprung. Magnus wurde klar, dass es besser für ihn gewesen wäre, oben am Rand des Felsens zu bleiben; wahrscheinlich hätte er einfach zu der Stelle laufen können, auf die Pétur zustrebte, und wäre lange vor ihm da gewesen. Jetzt war es zu spät dafür.
Magnus merkte, dass er wegrutschte. Mit einer Hand hielt er sich am Felsen fest. Der Fluss unter ihm rauschte auf den Rand des Wasserfalls zu. Das Wasser hatte einen wunderschön tödlichen Farbton aus Grün und Weiß.
Der pure, kalte Tod.
Mit beiden Armen hievte sich Magnus hoch und landete keuchend auf dem Vorsprung. Er sah, wie Pétur über drei Felsen sprang, die höchstens einen Meter fünfzig Abstand zur Wasseroberfläche hatten. Der Mann hatte einen außergewöhnlich guten Gleichgewichtssinn.
In dem Moment rutschte Pétur aus. Wie zuvor Magnus, hielt er sich mit einem Arm am Felsen fest. Doch im Gegensatz zuMagnus fand seine Hand keinen festen Halt. Er hing dort, schwang hin und her, zog die Beine an, damit seine Füße nicht mit dem Wasser in Berührung kamen, der Fluss ihn packte und mit sich nach unten riss.
Magnus sprang auf einen Stein im Wasser. Auf den nächsten. Sein Gleichgewichtssinn war nicht so ausgeprägt wie der von Pétur. Die Felsen waren hier schon gut drei Meter vom Ufer entfernt.
Es war der reine Wahnsinn.
Pétur starrte ihn an, das Gesicht verzerrt vor Anstrengung, sich mit einem Arm festzuhalten. Sein kahler Schädel tropfte vor Feuchtigkeit.
Er konnte sich nicht mehr lange halten.
Magnus wandte sich um. Oben am Rand des Felsens stand Ingileif, winkte und rief ihm etwas zu. Sie machte ihm Zeichen, umzukehren. Magnus konnte nicht verstehen, was sie rief, aber er konnte ihre Lippen lesen. »Lass ihn!«, schienen sie zu sagen.
Magnus drehte sich zu Pétur um. Ingileif hatte recht. Er konnte nur zusehen, wie der Mann, der vier Menschen umgebracht hatte, darunter seinen eigenen Vater, und der gerade versucht hatte, seine eigene Schwester zu töten, um sein eigenes Leben kämpfte.
Pétur sah Magnus in die Augen. Er las von ihnen ab, dass Magnus ihn aufgegeben hatte.
Pétur schloss die Augen, ließ los und rutschte lautlos in den Fluss. Das Wasser riss ihn mit, zum Rand des Wasserfalls. Innerhalb von zwei Sekunden war er verschwunden.
Magnus erblickte Ingileif, die vor dem weißen BMW-Geländewagen ihres Bruders stand, hinter ihr der schneebedeckte Berg.
Er parkte neben ihr und stieg aus dem Auto.
»Du bist spät dran«, sagte sie. Ihr Gesicht war rot vor Kälte, ihre Augen leuchteten.
»Tut mir leid.«
»Schon gut. Ich bin froh, dass du hier
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