Magnus Jonson 02 - Wut
Vorgehensweise hielten, egal ob es armselige Autodiebe oder die gerissensten Serienmörder waren. Die Routine, der vertraute, immergleiche Ablauf der Handlung schien ihnen irgendwie zu helfen, diese extreme Stresssituation zu bewältigen.
Er konnte sich vorstellen, wie der Täter, wer immer es auch war, mit Handschuhen an der Tür des Hauses in Duxbury klingelte, seinen Vater begrüßte und in den Flur trat. Vielleicht hatte er vorgehabt, so lange zu warten, bis Magnus’ Vater ihm den Rücken zuwandte, genau wie es Benedikt zehn Jahre zuvor getan hatte. Dann hatte er einmal zustechen und ihn mit zwei weiteren Stichen ins Herz erledigen wollen. Hatte ja schon einmal funktioniert. Würde es auch ein zweites Mal.
Magnus fiel nur ein Mann ein, der sowohl mit Benedikt als auch mit Ragnar in Verbindung stand.
Hallgrím. Magnus’ Großvater. Ragnars Schwiegervater und Benedikts Spielkamerad aus der Kindheit. Der Mann, der auf dem Bauernhof hinter dem Lavafeld wohnte, das sich vor Magnus erstreckte.
Er wusste, dass die polizeilichen Ermittlungen damals nicht bis zu seinem Großvater vorgedrungen waren. Warum sollten sie auch, wenn Benedikt schon Jahrzehnte vor seinem Tod nach Reykjavík gezogen war?
Magnus versuchte sich zu erinnern, ob sein Großvater Rechts-oder Linkshänder war. Er konnte sich nicht erinnern, wie er schrieb, doch er wusste noch, wie er geschlagen worden war. Der Alte hatte die linke Hand bevorzugt, da war Magnus sich relativ sicher. Es gab aber ein noch größeres Problem: Die Einwanderungsbehörde hatte bestätigt, dass Hallgrím die Staaten im Sommer 1996 nicht besucht hatte. Wichtiger noch: Ihm war niemals ein Reisepass ausgestellt worden.
Wo war Hallgrím am Nachmittag des 28. Dezember 1985 gewesen, als Benedikt ermordet wurde?
Das musste Magnus’ zweites Weihnachtsfest auf Bjarnarhöfn gewesen sein. Als Sibba und sein Onkel und seine Tante aus Kanada zu Besuch waren. Aber natürlich konnte sich Magnus nicht mehr an jede Handlung seines Großvaters in jenem Dezember erinnern.
Auf jeden Fall gab es ein erkennbares Muster. Eine Familienfehde, die der Eyrbyggja in nichts nachstand, begann in den dreißiger Jahren mit dem Tod von Jóhannes, Benedikts Vater, und wurde mit Gunnars Fall von der Klippe in den vierziger Jahren und mit dem erstochenen Benedikt 1985 fortgesetzt. Konnte Ragnars Tod in den Neunzigern irgendwie damit in Verbindung stehen? Magnus hätte nicht zu sagen gewusst, wie. Noch nicht.
Er schaute vom Bericht auf über das Lavafeld zu den weißen Gebäuden des Gehöfts und dem dunkleren Bau der Kirche.
Wenn er in Island bleiben würde, was würde er dann mit Bjarnarhöfn machen? Würde er weiter davor fliehen? Oder könnte er sich seiner Kindheit stellen?
Wut stieg in ihm auf. Die Anspannung der vergangenen Tage überwältigte ihn. Ingileif, sein Großvater, die Jagd auf die Mörder von Óskar Gunnarsson, der Tod von Björn, seine eigene Todesangst.
Magnus traf eine Entscheidung. Er wollte nicht lange darüber nachdenken: Er musste es hinter sich bringen, solange er die Wut in sich hatte, es auch zu tun.
Er trat aufs Gas, raste über das Lavafeld und bog in die Straße zum Hof ein.
Er kam an der Senke vorbei, wo die beiden Berserker begraben waren, kurz darauf hielt er vor der vertrauten Ansammlung von Gebäuden. Es hätte ein schöner Ort sein können: der imposante Berg mit dem herabrauschenden Wasserfall, die kleine Holzkirche, die in rosa Streifen im Meer versinkende Sonne.
Doch Magnus spürte, wie sich eine große Wolke der Angst auf ihn legte.
Er hatte keine Lust, seinen Onkel Kolbeinn zu treffen. Er erinnerte
sich an Sibbas Worte, der Großvater lebe nicht mehr im Hauptgebäude. Daher hielt Magnus vor einem der kleineren Häuser.
Er stieg aus dem Wagen. Durch das Fenster sah er einen Mann im Wohnzimmer, der sich über eine Zeitung beugte und ein Kreuzworträtsel löste. Sein Gesicht lag im Schatten, doch Magnus erkannte, dass es ein alter Mann war. Und dass er den Stift in der linken Hand hielt.
Magnus drückte auf die Klingel. Dann klopfte er. Laut.
»Schon gut, schon gut!«, hörte er die vertraute barsche Stimme, vielleicht ein wenig schwächer, als er sie in Erinnerung hatte. »Ein alter Mann ist kein D-Zug. Immer mit der Ruhe!«
Magnus klopfte noch lauter.
Die Tür wurde von einem Greis in einem grünen Hemd geöffnet. In sein Gesicht hatten sich die Falten von tausend Stürmen gefressen. Die Mundwinkel wiesen nach unten. Die kleinen blauen Augen
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