Maigret - 18 - Maigret in Nöten
studieren.
»Spielen Sie?«, fragte ihn Maigret.
Ducrau antwortete an seiner Stelle:
»Der? Nie im Leben! Kein Mensch spielt in diesem Haus Klavier! Das steht doch hier nur zum schönen Schein, wie der ganze Kram rundherum!«
Und obwohl es im Zimmer eher kühl war, stand ihm der Schweiß auf der Stirn.
Die Nachbarn links spielten immer noch Tennis, und ein Diener in Livree brachte ihnen Erfrischungen, während die Ducraus auf ihrer Terrasse zu Mittag aßen. Trotz des Sonnenschirms war es sehr heiß, und Berthe Ducrau in ihrem schwarzen Seidenkleid hatte unter beiden Achseln Schweißringe. Ducrau selbst war so angespannt, dass einen allein sein Anblick ermüdete. Alles, was er sagte, und alles, was er tat, war peinlich.
Als der Fisch serviert wurde, verlangte er das Gericht zu sehen, schnupperte daran und berührte es mit dem Zeigefinger, dann schnarrte er:
»Bringen Sie das weg!«
»Aber, Émile …«
»Weg damit!«, wiederholte er.
Als seine Frau aus der Küche zurückkam, hatte sie verweinte Augen. Als Nächstes sagte er plump zu Maigret:
»Sie gehen am Mittwoch in Pension, nicht? Mittwochabend oder Mittwochmorgen?«
»Mittwoch um Mitternacht.«
Dann ging er zum Angriff auf seinen Schwiegersohn über:
»Weißt du, wie viel ich ihm angeboten habe, falls er für mich arbeitet? Hundertfünfzigtausend. Wenn er zweihunderttausend will, kann er die auch haben!«
Er beobachtete immer noch aufmerksam, was vor dem Gitter vorging. Er hatte Angst. Und Maigret, der es als Einziger wusste, fühlte sich noch unbehaglicher als die andern, denn es war ein tragischer, nebenbei aber auch lächerlicher und widerwärtiger Anblick, wie der Mann gegen seine Panik ankämpfte.
Beim Kaffee fing Ducrau wieder an.
»Das hier also«, sagte er, indem er in die Runde wies, »bezeichnet man als Familie. Ein Mann, der das ganze Gewicht auf seinen Schultern trägt, immer getragen hat und sich abrackern wird, bis er verreckt. Und dann die andern, lebloses Pack, das sich an ihn hängt …«
»Fängst du wieder an?«, fragte seine Tochter und stand auf.
»Du hast recht. Geh, mach einen kleinen Spaziergang. Es ist vielleicht dein letzter guter Sonntag.«
Sie zuckte zusammen. Ihr Mann, der sich gerade die Lippen mit der Serviette wischte, blickte auf. Madame Ducrau ihrerseits hatte es vielleicht überhört.
»Was willst du damit sagen?«
»Nichts! Ich will nichts damit sagen! Nur zu, ihr wollt ja in den Süden fahren, triff nur weiter deine Vorbereitungen!«
Worauf es dem Schwiegersohn, der offenbar nicht viel Sinn für den passenden Moment hatte, einfiel, freundlich vorzubringen:
»Berthe und ich haben es uns anders überlegt. Südfrankreich, das ist doch etwas weit. Wenn wir etwas in der Gegend der Loireschlösser finden …«
»Richtig! Ihr braucht nur den Kommissar zu fragen, ob er euch etwas bei ihm in der Nähe ausfindig machen kann. Er tut es sicher gern, und sei es um des Vergnügens willen, euch als Nachbarn zu haben!«
»Sie wohnen in der Loire?«, fragte Decharme beflissen.
»Er wird vielleicht dorthin ziehen.«
Maigret wandte ihm langsam das Gesicht zu, aber diesmal lächelte er nicht. Es hatte ihm wie einen Stich ins Herz gegeben, ein Gefühl, das seine Lippen erbeben ließ. Seit Tagen schon war es, als habe er sich in einer ekelerregenden Ungewissheit verheddert, und nun plötzlich änderte sich alles durch den Zauber eines kleinen Worts.
»Vielleicht! «
Ducrau hielt seinem Blick stand, ebenso ernst, ebenso der Bedeutung dieses Augenblicks bewusst wie er.
»Wo genau liegt Ihr Anwesen?«
Aber die Stimme des Schwiegersohns war nichts weiter als ein Räuspern, dem weder der eine noch der andere Beachtung schenkte. Der Atem Ducraus ging ruhiger, seine Nasenflügel weiteten sich, während die Erregung des unmittelbar bevorstehenden Kampfes sein glänzendes Gesicht noch mehr aufleuchten ließ.
Sie hatten sich lange genug gegenseitig umschlichen, hatten sich lange genug abgetastet, ohne es zu wagen, zum Schlag anzusetzen.
Auch Maigret atmete nun leichter. Er stopfte seine Pfeife, und seine Finger wühlten sich wohlig in den Tabakbeutel.
»Mir würde die Gegend von Cosne oder von Gien sehr zusagen …«
Noch immer hörte man das Aufprallen der Tennisbälle auf dem roten Belag, über den die weißen Röckchen der jungen Spielerinnen huschten. Ein kleines Motorboot tuckerte die Seine hinauf, schnurrend wie ein zufriedener Kater.
Madame Ducrau klingelte mit einem Glöckchen, um die Hausangestellte zu rufen,
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