Maigret - 18 - Maigret in Nöten
Brief schrieb.
Die Leute kamen von irgendeinem Fest zurück, denn sie gingen, Staub aufwirbelnd, dichtgedrängt wie in einem Umzug. Niemandem fiel auf, dass zwei Männer in der Menge stehen geblieben waren, noch dass der eine seine Hand in die Tasche gleiten ließ und sagte:
»Das heißt doch, in Notwehr handeln, nicht?«
Ducrau scherzte nicht. Er konnte seinen Blick nicht von dem Alten lösen, der von Zeit zu Zeit den Kopf hob, um zu überlegen, was er schreiben sollte, aber nichts von dem zu bemerken schien, was um ihn herum vorging.
Maigret antwortete nicht, winkte nur Lucas herbei, ging dann einige Schritte in Richtung Schleuse, während ihm Ducrau widerwillig folgte.
»Haben Sie meine Frage verstanden?«
Endlich fuhr das Motorboot los, glitt über den Fluss, in seinem Kielwasser arabeskenhafte Zeichnungen hinter sich lassend.
»Da bin ich, Chef.«
Es war Lucas, der wie die andern die Seine ansah.
»Ist er bewaffnet?«
»Nein. Ich habe mich auch in seinem Zimmer umgesehen, aber keine Waffe gefunden. Und auf dem Weg hierher hat er nicht angehalten.«
»Hat er dich bemerkt?«
»Ich glaube nicht. Er ist zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.«
»Sieh zu, dass du an den Brief kommst. Geh!«
»Sie haben mir immer noch nicht geantwortet«, versteifte sich Ducrau, als sie sich wieder auf den Weg machten.
»Sie haben doch gehört: Er ist unbewaffnet.«
Sie gingen weiter und näherten sich bereits wieder dem weißen Haus.
»So haben wir also«, grinste der Reeder, »jeder seinen Schutzengel. Am besten essen Sie gleich mit uns zu Abend. Und wenn Sie hier übernachten möchten …«
Er stieß das Tor auf. Seine Frau, die Tochter und der Schwiegersohn saßen auf der Terrasse beim Tee. Der Fahrer flickte einen Gummischlauch, der sich als grellroter Ring vom Kies im Hof abhob.
Sie saßen behaglich in ihre Korbstühle zurückgelehnt vor einem Tisch, auf dem eine Flasche und Gläser standen. Sie hatten sich nicht wieder den andern auf der Terrasse angeschlossen, sondern waren im Hof geblieben, in der Nähe der Wohnzimmertür, die in ihrem Rücken nach und nach vom Schatten eingeholt wurde. Die Straßenlaternen in Samois waren viel zu früh angezündet worden, denn vor der Helle erkannte man kaum die weißen Flecke, die sie bildeten, während die Sonntagsspaziergänger immer weniger wurden, größtenteils waren sie bereits im Bahnhof verschwunden.
»Glauben Sie«, sagte Maigret – und seine Stimme war so gelassen, wie sie es nur sein konnte –, »dass ein Mann, der einen andern getötet hat, lange davor zurückschreckt, einen zweiten zu beseitigen und notfalls, um ganz sicher zu gehen, auch einen dritten?«
Ducrau rauchte eine mächtige Meerschaumpfeife, die er, wegen des langen Vogelkirschbaum-Mundstücks, am Kopf halten musste. Er blickte seinen Begleiter an, und es verging einige Zeit, bis er brummte:
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Nichts Besonderes. Mir scheint, wir können uns hier einen netten Sonntagabend machen. Der Cognac ist vorzüglich. Die Pfeifen ziehen. Und der alte Gassin wird jetzt wohl seinen Aperitif nehmen. Und am Mittwochabend wird uns alles, was uns jetzt so bekümmert, nicht mehr bekümmern. Das Problem wird seine Lösung gefunden haben.«
Er sprach wie im Traum, und oben auf der Terrasse tanzte einen Moment lang vor dem fahlen Himmel die Flamme eines Streichholzes, das Decharme angesteckt hatte.
»Ich frage mich nur, wer dann nicht mehr da sein wird.«
Ducrau überlief es kalt. Er konnte es nicht einmal mehr verbergen und gab lieber gleich zu:
»Sie haben vielleicht eine Art, das zu sagen!«
»Wo waren Sie letzten Sonntag?«
»Hier. Wir kommen jeden Sonntag hierher.«
»Und Ihr Sohn?«
Ducraus Ausdruck wurde ernster, und er antwortete:
»Er war auch hier. Er hat zwei Stunden lang versucht, den Radioapparat zu reparieren, und am Ende lief er doch nicht besser.«
»Nun ist er tot, schon begraben. Auch Bébert ist tot. Deshalb frage ich mich, wer nächsten Sonntag in diesem Sessel sitzen wird.«
Sie sahen einander nicht mehr deutlich. Der Geruch der beiden Pfeifen verbreitete sich im Hof. Ducrau fuhr auf, als direkt auf der andern Seite des Gitters jemand vom Fahrrad stieg, und er rief dem Unbekannten entgegen:
»Was ist los?«
»Für Monsieur Maigret.«
Es war ein Junge aus der Gegend, und er reichte dem Kommissar einen Brief durchs Gitter.
»Er ist mir vor dem Café für Sie mitgegeben worden.«
»Ich weiß. Danke.«
Ducrau hatte sich nicht
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