Maigret - 38 - Maigret und die Bohnenstange
ermordet hat?«
»Soweit ich es wissen kann – ja!«
»Besteht doch eine Möglichkeit, dass er es getan hat?«
»Er hatte dazu überhaupt keinen Grund.«
»Er hat es getan!«, sagte er brüsk und blickte sie fest an.
Sie blieb unschlüssig sitzen und stieß hervor:
»Aha!«
Dann öffnete sie ihre Handtasche, um ein Taschentuch herauszuholen. Ihre Augen blieben trocken. Sie weinte nicht. Mit dem Taschentuch fuhr sie sich nur über die Lippen.
»Könnte ich ein Glas Wasser haben?«
Er musste einen Augenblick nach einem Wasserhahn Ausschau halten, denn das Büro war ihm nicht so vertraut wie sein eigenes.
»Sobald der Staatsanwalt heute in den Palais de Justice kommt, wird Ihr Sohn unter Anklage gestellt. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, dass er keine Chance hat davonzukommen.«
»Sie wollen damit sagen, dass er –«
»Es wird ihn seinen Kopf kosten!«
Sie wurde nicht ohnmächtig; mit starrem Blick blieb sie steif auf ihrem Stuhl hocken.
»Seine erste Frau wird man exhumieren. Sie wissen wahrscheinlich, dass man Spuren bestimmter Gifte auch noch an einem Skelett feststellen kann.«
»Warum hätte er sie alle beide umbringen sollen? Das ist doch gar nicht möglich! Es ist nicht wahr, Herr Kommissar! Ich weiß nicht, warum Sie so etwas zu mir sagen, aber ich weigere mich, Ihnen zu glauben! Lassen Sie mich mit ihm sprechen! Gestatten Sie mir ein Gespräch mit ihm unter vier Augen, dann kriege ich die Wahrheit heraus!«
»Sie haben sich am Dienstag den ganzen Abend in Ihrem Zimmer aufgehalten?«
»Ja.«
»Sie sind auch nicht für einen einzigen Augenblick hinuntergegangen?«
»Nein. Warum hätte ich nach unten gehen sollen, wenn diese Frau doch endlich das Haus verließ?«
Maigret presste ziemlich lange die Stirn gegen die Fensterscheibe, ging dann in das angrenzende Büro, griff sich die Flasche und trank so viel, wie in drei oder vier Schnapsgläser hineingeht.
Als er wieder hereinkam, hatte er den schweren Schritt Guillaume Serres und dessen eigensinnigen Blick.
9
Maigret ist nicht gerade stolz auf sein Stück Arbeit, aber er hat nichtsdestoweniger die Genugtuung, jemandem das Leben zu retten
Er saß in einem Lehnstuhl, der nicht sein eigener war, beide Ellbogen auf den Tisch gestützt, seine größte Pfeife im Mund, die Augen auf die alte Dame gerichtet, die er mit einer Äbtissin verglichen hatte.
»Ihr Sohn, Madame Serre, hat weder seine erste noch seine zweite Frau umgebracht«, sagte er, jede Silbe betonend.
Sie runzelte die Stirn, aber ihr Blick verriet keine Freude.
»Er hat auch seinen Vater nicht umgebracht«, fügte er hinzu.
»Was wollen –«
»Pst! … Ihr Einverständnis vorausgesetzt, werden wir das Ganze so anständig wie möglich hinter uns bringen. Die Beweise lassen wir fürs Erste außen vor. Die kommen zu gegebener Zeit noch dran.
Wir wollen jetzt auch nicht den Fall Ihres Mannes aufrollen. Ich bin mir fast sicher, dass Ihre erste Schwiegertochter vergiftet wurde. Ich gehe noch weiter: Ich bin überzeugt, dass es nicht mit Arsenik geschah oder einem anderen der starken Gifte, die gewöhnlich benutzt werden.
Ganz nebenbei gesagt, Madame Serre: Neun von zehn Giftmorden sind das Werk einer Frau!
Ihre erste Schwiegertochter litt ebenso wie die zweite an einer Herzkrankheit. Auch Ihr Mann war herzkrank.
Bestimmte Medikamente, die gesunde Menschen ohne allzu große Nachteile vertragen, können bei Herzkranken tödlich wirken. Ich frage mich, ob uns nicht Maria in einem der Briefe an ihre Freundin den Schlüssel für das Rätsel geliefert hat. Sie erwähnt da eine Reise nach England, die Sie früher einmal mit Ihrem Mann unternommen haben, und hebt hervor, dass alle dermaßen seekrank geworden sind, dass der Schiffsarzt sie behandeln musste.
Was wird in einem solchen Fall verordnet?«
»Ich weiß es nicht.«
»Das nehme ich Ihnen nicht ab. Man verabreicht für gewöhnlich Atropin in irgendeiner Form. Nun kann aber eine etwas stärkere Dosis Atropin bei einem Herzkranken verhängnisvolle Folgen haben.«
»So dass also mein Mann –«
»Wir kommen noch drauf, auch wenn ich den Nachweis nicht erbringen kann. Ihr Mann führte in seinen letzten Jahren ein zügelloses Leben und verprasste sein ganzes Vermögen. Sie haben sich immer davor gefürchtet, in Not zu geraten.«
»Nicht um meinetwillen. Meines Sohnes wegen. Was nicht heißt, dass ich –«
»Später hat sich Ihr Sohn dann verheiratet. Eine andere Frau hat in Ihrem Haus gelebt, eine Frau, die auf einmal Ihren
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