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Maigret bei den Flamen

Maigret bei den Flamen

Titel: Maigret bei den Flamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Die andere hatte ich auf einem Ball kennengelernt …«
    »Germaine?«
    »Ja. Auf einem Ball, auf den zu gehen man mir verboten hatte. Ich habe sie dann nach Hause gebracht. Und auf dem Weg …«
    »Und Marguerite?«
    »Das ist nicht das gleiche. Ich …«
    »Sie haben also Nancy in der Nacht vom 3 . auf den 4 . nicht verlassen?«
    Maigret hatte genug gehört und ging zur Tür. Er wußte, was er von Joseph zu halten hatte: ein hagerer, knochiger Junge von schwachem Charakter, dessen Stolz von der Bewunderung seiner Schwestern und seiner K u sine genährt wurde.
    »Und was machen Sie seitdem?«
    »Ich bereite mich auf die Prüfung vor. Es ist meine letzte. Anna hat mir telegrafiert, ich solle herkommen, um Sie zu treffen. Soll ich …«
    »Nein, Sie können nach Nancy zurückfahren.«
    Eine Gestalt , die Maigret nicht vergessen würde: die großen, hellen Augen mit ihren vor Nervosität geröteten Rändern. Die triste Anzugjacke und die Hose mit ihren ausgebeulten Knien …
    Im gleichen Anzug, nur mit einem Regenmantel darüber , würde Joseph Peeters mit dem Motorrad nach Nancy zurückkehren, ohne die zulässigen Geschwindigkeiten auch nur einmal zu überschreiten …
    Eine kleine Studentenbude bei irgendeiner verarmten alten Dame. Die Vorlesungen, von denen er sicherlich nie eine einzige schwänzte. Mittags das Café und das Billardspiel am Abend …
    »Wenn Ihre Anwesenheit erforderlich sein sollte, we r de ich Sie benachrichtigen!«
    Maigret war wieder allein. Er stützte sich mit den Ellenbogen auf die Fensterbank, ließ sich den Wind aus dem Tal entgegenwehen, sah die Maas in die Ebene strömen und erblickte in der Ferne ein kleines, g e dämpftes Licht: das Haus der Flamen.
    In der Dunkelheit ein Gewirr von Schiffen, Masten, Schornsteinen und den runden Vordersteven der Lastkähne.
    Vornean die »Etoile Polaire« …
    Beim Hinaus gehen stopfte er seine Pfeife und schlug den Samtkragen seines Mantels hoch. Der Wind war so stark, daß er sich trotz seiner kräftigen Statur gegen ihn stemmen mußte.
    3
    Die Hebamme
    W
    ie gewöhnlich war Maigret schon seit acht Uhr morgens auf den Beinen. Die Hände in den Manteltaschen und die Pfeife zwischen den Zähnen, blieb er eine Weile unbeweglich vor der Brücke stehen, betrachtete den reißenden Fluß und ließ dann wieder seinen Blick über die Pa s santen schweifen.
    Der Wind war genau so heftig wie am Abend zuvor. Es war viel kälter als in Paris.
    Aber woran spürte man eigentlich die Nähe der Grenze? An den häßlich braunen Backsteinen der Häuser, die schon wie die belgischen Häuser aussahen mit ihren Schwellen aus Quadersteinen und ihren Fenste r bänken, auf denen Kupfertöpfe standen?
    Oder an den härteren, wie gemeißelten Gesichtszügen der Wallonen, an den khakifarbenen Uniformen der belgischen Zöllner? Oder daran , daß man in den G e schäften in beiden Währungen zahlen konnte?
    Jedenfalls war es nicht zu übersehen, daß hier eine Grenze verlief. Zwei Arten von Menschen stießen hier aufeinander.
    Maigret spürte das deutlicher als je zuvor, als er ein Bistro am Kai betrat, um einen Grog zu trinken. Ein t y pisch französisches Bistro mit seiner ganzen Palette von Aperitifs in allen Farben. Die hellen Wände waren mit Spiegeln verkleidet, und die Leute tranken im Stehen ihr Vormittagsgläschen Weißwein.
    Ein Dutzend Schiffer hatte sich um die Besitzer von zwei Schleppern geschart. Sie diskutierten darüber , ob man trotz des Hochwassers wagen konnte, flußabwärts zu fahren.
    »Unmöglich, unter der Brücke von Dinant hindurchzukommen! Selbst wenn man es könnte, müßten wir fünfzehn Francs pro Tonne nehmen, französische Francs … Das ist zu teuer. Bei dem Preis ist es besser, noch zu warten.«
    Sie blickten zu Maigret herüber . Einer stieß den andern an. Der Kommissar war erkannt.
    »Ein Flame sagt, er wolle morgen ohne Motor losfahren und sich von der Strömung treiben lassen.«
    In dem Café waren keine Flamen. Sie gingen lieber in den Lebensmittelladen der Peeters mit seiner dunklen Holzverkleidung und seinem Geruch nach Kaffee, Z i chorie, Zimt und Genever. Dort standen sie stundenlang, die Ellenbogen auf die Ladentheke gestützt, unterhielten sich träge über irgend etwas Belangloses und blickten mit ihren hellen Augen durch die transparente Reklame auf der Scheibe der Ladentür.
    Maigret hörte den Gesprächen um ihn herum zu. Er erfuhr, daß die flämischen Schiffer unbeliebt waren, nicht so sehr wegen ihres Charakters, sondern weil

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