Maigret bei den Flamen
vorzubereiten! Sie wissen nur zu gut, daß man die Leiche von Mademoiselle Germaine nie finden wird! Iß, mein Kleines. Hab keine Angst …«
Sie betrachtete mit feuchten Augen den kleinen Jungen, der seinen Löffel in die Luft hielt, ohne Maigret aus den Augen zu lassen.
»Und sonst haben Sie mir nichts Besonderes zu sagen?« fragte der Kommissar.
»Absolut nicht! Die Peeters dürften Ihnen ja schon sämtliche Auskünfte gegeben haben, die Sie benötigen, und sie haben Ihnen wahrscheinlich auch schon gesagt, daß das Kind nicht von ihrem Joseph sei!«
Hatte es noch einen Sinn, sich weiter zu bemühen? Maigret war der Feind. Ihm war, als wehte eine Atmosphäre des Hasses durch das ärmliche Haus.
»Also bitte, wenn Sie Monsieur Piedbœuf sprechen wollen, dann brauchen Sie nur gegen Mittag wiederzukommen. Das ist die Zeit, zu der er aufsteht, und zu der Monsieur Gérard aus dem Büro zurückkommt …«
Sie führte ihn durch den Flur hinaus und schloß die Tür hinter ihm. Die Rollos im ersten Stock waren herunter gezogen.
Kurz vor dem Haus der Flamen traf Maigret den Inspektor, der sein Gespräch mit zwei Schiffern abbrach, als er den Kommissar erblickte.
»Was erzählen sie?«
»Ich habe mit ihnen über die ›Etoile Polaire‹ gesprochen. Sie glauben sich zu erinnern, daß der Besitzer am 3 . Januar das Café des Mariniers gegen acht Uhr verla s sen hatte und daß er, wie jeden Abend, betrunken war. Jetzt, um diese Zeit, schläft er noch. Ich war eben erst auf se i nem Kahn, und er hat mich nicht einmal gehört …«
Hinter dem Schaufenster des Lebensmittelladens konnte man den weißhaarigen Kopf von Madame Peeters erkennen, die die Polizeibeamten beobachtete.
Ihre Unterhaltung war zusammenhanglos. Die beiden Männer schauten umher, ohne etwas Bestimmtes zu s u chen.
Auf der einen Seite der Fluß, dessen Wehre geöffnet waren und der Zweige und Unrat mit neun Kilometern in der Stunde mit sich fortriß.
Auf der anderen Seite das Haus.
»Das Haus hat zwei Eingänge!« sagte Machère.
»Den einen, den wir sehen, und einen anderen, hinter dem Haus. Im Hof gibt es einen Brunnen.« Und er beeilte sich, hinzuzufügen: »Ich habe ihn ausgelotet. Ich glaube, ich habe alles durchsucht. Und trotzdem habe ich irgendwie das Gefühl, daß die Leiche nicht in die Maas geworfen wurde. Was hatte dieses Damentasche n tuch auf dem Dach zu suchen?«
»Wissen Sie schon, daß man den Motorradfahrer gefunden hat?«
»Man hat mich davon benachrichtigt. Aber das beweist noch nicht, daß Joseph Peeters an jenem Abend nicht hier war …«
Machère hatte recht. Es gab keinen Beweis, weder d a für noch dagegen! Es gab nicht einmal eine einzige ernstzunehmende Zeugenaussage!
Germaine Piedbœuf war gegen acht Uhr in den Laden gekommen. Die Flamen behaupteten, daß sie einige Minuten später wieder gegangen sei, aber niemand sonst hatte sie gesehen.
Das war alles!
Die Piedbœuf s hatten Anzeige erstattet und verlangten dreihunderttausend Francs Schadenersatz.
Zwei Schiffersfrauen betraten den Laden, und die Glocke läutete.
»Glauben Sie immer noch, Herr Kommissar …«
»Ich glaube überhaupt nichts, mein Lieber! Bis nachher …«
Er betrat ebenfalls den Laden. Die beiden Kundinnen rückten zusammen, um ihm Platz zu machen. Madame Peeters rief:
»Anna!«
Sie beeilte sich, ihm die Glastür zur Küche aufzuhalten.
»Treten Sie ein, Herr Kommissar. Anna kommt gleich. Sie räumt gerade die Zimmer auf.«
Sie wandte sich erneut ihren Kundinnen zu, und der Kommissar durchquerte die Küche, ging durch den Flur und stieg langsam die Treppe hinauf .
Anna hatte offenbar nichts gehört. Aus einem Zimmer, dessen Tür offenstand, hörte Maigret Geräusche und sah dann die junge Frau, die sich ein Tuch um den Kopf gebunden hatte und damit beschäftigt war, eine Anzughose auszubürsten.
Sie bemerkte den Besucher im Spiegel, fuhr herum und ließ die Bürste fallen.
»Sind Sie schon länger da?«
Sie war immer noch die gleiche, auch in ihrem Morgenmantel. Sie bewahrte auch jetzt den gleichen Ausdruck einer wohlerzogenen, ein wenig zurückhaltenden jungen Dame.
»Pardon, Mademoiselle Anna. Man hat mir gesagt, daß Sie hier oben seien. Ist das das Zimmer Ihres Bruders?«
»Ja. Er ist heute morgen sehr früh zurückgefahren. Das Examen ist alles andere als leicht, und er will es wie die vorherigen mit Auszeichnung bestehen.«
Auf einer Kommode stand ein großes Bild von Marguerite van de Weert in einem Sommerkleid und einem
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