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Maigret bei den Flamen

Maigret bei den Flamen

Titel: Maigret bei den Flamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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italienischen Strohhut.
    Und das junge Mädchen hatte mit hoher und spitzer Schrift den Anfang von Solveigs Lied darunter geschrieben:
     
    Der Winter mag scheiden,
    der Frühling vergeh’n,
    der Sommer mag verwelken,
    das Jahr verweh’n …
     
    Maigret nahm das Bild in die Hand. Anna musterte ihn aufmerksam und sogar ein wenig mißtrauisch, als ob sie fürchtete, er könnte darüber lächeln.
    »Das sind Verse von Ibsen«, sagte sie.
    »Ich weiß …«
    Und Maigret rezitierte die letzten Zeilen:
     
    Ich will deiner harren,
    bis du mir nah’,
    und harrest du dort oben,
    so treffen wir uns da …
     
    Fast hätte er dennoch gelächelt, als er sah, daß Anna immer noch Josephs Hose in der Hand hielt.
    Es war unerwartet, kitschig und rührend zugleich, diese heroischen Verse mitten in diesem dumpfen Studentenzimmer.
    Joseph Peeters, hager und schlecht gekleidet, mit seinen blonden Haaren, die auch mit Frisiercreme nicht anliegen wollten, mit seiner unproportionierten Nase, seinen kurzsichtigen Augen …
     
    Mein holder Verlobter …
     
    Und dann dieses Porträt einer kleinen, überzarten Provinzschönheit!
    Das war nicht der erhabene Rahmen des Dramas von Ibsen. Sie rief ihren Treueschwur nicht den Sternen en t gegen – nein, kleinbürgerlich schrieb sie Verse ab, unten auf den Rand einer Fotografie.
     
    Ich will deiner harren …
     
    Und sie hatte tatsächlich seiner geharrt! Trotz Germaine Piedbœuf! Trotz des Kindes! Trotz all der Jahre!
    Maigret empfand ein leichtes Unbehagen. Er betrachtete den Tisch, der mit einer grünen Schreibunterlage bedeckt war, mit einem Tintenfäßchen aus Messing darauf , das sicherlich ein Geschenk war, und Federhaltern aus Galalith.
    Mechanisch zog er eine der Schubladen der Kommode auf und erblickte in einer Pappschachtel ohne Deckel Amateurfotos.
    »Mein Bruder hat einen Apparat.«
    Junge Leute mit Studentenmützen. Joseph auf dem Motorrad, die Hand am Gasgriff, wie vor einem rasanten Start. Anna am Klavier. Ein anderes junges Mä d chen, zierlicher und trauriger …
    »Das ist meine Schwester Maria.«
    Und dann plötzlich ein kleines Paßfoto, trostlos wie a l le Bilder dieser Art mit ihrem brutalen Schwarz-Weiß-Kontrast. Ein junges Mädchen, aber so zart, so zerbrechlich, daß sie wie ein Kind aussah. Große Augen, die das ganze Gesicht beherrschten. Sie trug ein lächerliches Hü t chen und schien voller Angst in die Kamera zu sta r ren.
    »Germaine, nicht wahr?«
    Das Kind sah ihr ähnlich.
    »War sie krank?«
    »Sie hatte Tuberkulose. Sie war nie sehr gesund.«
    Aber Anna war es! Sie war groß, kräftig gebaut und verfügte vor allem über ein erstaunliches physisches und psychisches Gleichgewicht. Sie hatte die Hose jetzt über die Steppdecke des Bettes gelegt.
    »Ich komme gerade von den Piedbœuf s …«
    »Was haben sie gesagt? Bestimmt haben sie …«
    »Ich habe nur eine Hebamme angetroffen. Und den Kleinen.«
    Sie stellte keine Fragen, wie aus Scheu. Ihr Verhalten hatte etwas diskret Zurückhaltendes.
    »Ihr Zimmer ist nebenan?«
    »Ja. Ich teile es mit meiner Schwester.«
    Es gab eine Verbindungstür, die der Kommissar öffnete. Das andere Zimmer war heller, weil die Fenster auf den Fluß hinaus gingen. Das Bett war schon gemacht. Hier herrschte nicht die geringste Unordnung, nicht ein Kleidungsstück lag auf den Möbeln.
    Nur zwei Nachthemden, die sorgsam zusammengefa l tet auf den beiden Kopfkissen lagen.
    »Sie sind jetzt fünfundzwanzig?«
    »Sechsundzwanzig.«
    Maigret hätte gern eine Frage gestellt, wußte aber nicht, wie er sie anbringen sollte.
    »Sind Sie jemals verlobt gewesen?«
    »Nein, nie.«
    Aber das war nicht genau das, was er sie eigentlich hatte fragen wollen. Sie beeindruckte ihn, besonders jetzt, als er ihr Zimmer sah. Sie beeindruckte ihn wie eine rätselhafte Statue. Er fragte sich, ob dieser Körper, der bar alles Verführerischen war, schon einmal vor Le i denschaft gebebt hatte, ob Anna mehr war als nur eine ergebene Schwester, eine vorbildliche Tochter, eine perfekte Hausfrau, eine Peeters; mit anderen Worten, ob sich hinter dieser Fassade eine richtige Frau verbarg!
    Sie wandte den Blick nicht ab. Sie wich nicht aus. Sie mußte gemerkt haben, daß er ihre Figur ebenso muste r te, wie er ihre Gesichtszüge erforschte, aber sie zuckte nicht einmal mit den Wimpern.
    »Wir haben mit niemandem Kontakt, außer mit den van de Weerts …«
    Maigret zögerte, und seine Stimme klang nicht mehr ganz unbefangen, als er sagte:
    »Ich möchte Sie

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