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Maigret und der Treidler der Providence

Maigret und der Treidler der Providence

Titel: Maigret und der Treidler der Providence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Unfall, der sich am Morgen im »Gewölbe« ereignet hatte, das heißt dort, wo der Kanal die höchstgelegene Partie des Plateaus von Langres auf einer Länge von acht Kilometern unterirdisch durchquert.
    Ein Schiffer hatte sich mit dem Fuß im Zugseil der Pferde verfangen. Er hatte geschrien, ohne daß der Treidler ihn hatte hören können, und als die Pferde nach einem Halt wieder anzogen, war er ins Wasser gestürzt.
    Der Tunnel war nicht beleuchtet. Das Schiff hatte nur eine Laterne, die kaum mehr als ein paar Lichtflecken auf das Wasser warf. Der Bruder des Schiffers – das Schiff hieß ›Les Deux Frères‹, Die beiden Brüder – war in den Kanal gesprungen.
    Man hatte nur den einen wieder herausgefischt – er war schon tot. Nach dem anderen wurde noch gesucht …
    »Sie hatten nur noch zwei Jahresraten für ihr Schiff abzuzahlen. Aber nach dem Vertrag scheint es so auszusehen, daß ihre Frauen die restlichen Raten nicht mehr zu zahlen brauchen.«
    Ein Chauffeur mit einer Ledermütze trat ein und blickte suchend in die Runde.
    »Wer hat einen Wagen bestellt?«
    »Ich!« sagte Maigret.
    »Ich mußte ihn an der Brücke stehen lassen. Ich lege keinen Wert darauf, in den Kanal zu schliddern.«
    »Essen Sie heute hier?« fragte der Wirt den Kommissar.
    »Das weiß ich noch nicht …«
    Er ging mit dem Chauffeur hinaus. Die ›Southern Cross‹, weiß gestrichen, bildete einen milchigen Fleck im Regen, und zwei Jungen von einem in der Nähe liegenden Schleppkahn standen trotz des Wolkenbruchs bewundernd davor.
    »Joseph!« rief eine Frauenstimme. »Bring deinen Bruder zurück! Sonst setzt es gleich was!«
    »Southern Cross«, las der Chauffeur am Bug. »Sind das Engländer?«
    Maigret ging über den Landesteg und klopfte. Willy, der schon fertig war und in seinem dunklen Sakko sehr elegant aussah, öffnete die Tür, und dahinter sah man den Colonel, der mit unnatürlich gerötetem Gesicht dastand, ohne Weste, und sich von Gloria Negretti die Krawatte binden ließ.
    Die Kajüte roch nach Eau de Cologne und Brillantine.
    »Ist der Wagen gekommen?« fragte Willy. »Ist er hier?«
    »An der Brücke, zwei Kilometer weiter …«
    Maigret blieb draußen. Er hörte undeutlich, wie der Colonel und der junge Mann sich auf englisch unterhielten. Schließlich kam Willy heraus und erklärte:
    »Er will nicht durch den Schlamm waten. Wladimir wird das Beiboot zu Wasser lassen. Wir treffen uns da unten.«
    »Hm! Hm!« knurrte der Chauffeur, der alles mitgehört hatte.
    Zehn Minuten später gingen Maigret und er auf der Steinbrücke in der Nähe des Wagens hin und her, dessen Scheinwerfer auf Standlicht geschaltet waren. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis man das Tuckern eines kleinen Zweitakt-Motors vernahm.
    Schließlich hörte man Willy rufen:
    »Ist es hier? … Kommissar!«
    »Ja, hier!«
    Der Außenborder beschrieb einen Kreis und legte am Ufer an. Wladimir half dem Colonel an Land und erhielt Anweisung, wann er für die Rückfahrt bereitstehen sollte.
    Im Wagen sprach Sir Walter nicht ein Wort. Trotz seiner Korpulenz wirkte er ausgesprochen elegant. Mit seinem geröteten Gesicht, seinem gepflegten Aussehen und seiner phlegmatischen Art war er das getreue Abbild des englischen Gentleman, wie ihn die Kupferstiche des vorigen Jahrhunderts darstellten.
    Willy Marco rauchte eine Zigarette nach der anderen.
    »Was für eine Klapperkiste!« seufzte er, als sie über einen Rinnstein holperten.
    Maigret bemerkte, daß er am Finger einen Siegelring aus Platin mit einem großen blaßgelben Diamanten trug.
    Als sie in die Stadt mit ihrem vom Regen glänzenden Pflaster kamen, hob der Chauffeur die Trennscheibe und fragte:
    »Welche Adresse?«
    »Zum Leichenschauhaus!« antwortete der Kommissar.
     
    Es dauerte nicht lange. Der Colonel sagte kaum ein Wort. Es gab nur einen Wärter in der Halle, in der drei Leichen auf den Fliesen lagen.
    Alle Türen waren schon verschlossen. Man hörte die Schlösser quietschen. Man mußte das Licht anmachen.
    Es war Maigret, der das Tuch anhob.
    »Yes!«
    Willy war ergriffener, ungeduldiger, dem Anblick zu entrinnen.
    »Erkennen Sie sie auch?«
    »Ja, sie ist es … Sie ist so …«
    Er brachte den Satz nicht zu Ende. Er wurde zusehends bleicher. Seine Lippen wurden trocken. Wenn der Kommissar ihn nicht nach draußen gezogen hätte, wäre ihm wahrscheinlich schlecht geworden.
    »Sie wissen nicht, wer hat gemacht?« brachte der Colonel hervor.
    Vielleicht hätte man aus dem Klang seiner Stimme eine

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