Maigret und der Treidler der Providence
Sachen. Der Engländer lebt offenbar nur für den Whisky und die Frauen. Madame Negretti ist seine Geliebte.«
»Wußte seine Frau das?«
»Und ob! Sie selbst war doch die Geliebte von Willy. Aber das hinderte die Herrschaften nicht, Mädchen wie Suzy und Lia aufzugabeln. Verstehen Sie? Und Wladimir tanzte obendrein mal mit der einen, mal mit der anderen. Kurz vor der Morgendämmerung gab es Streit, weil Lia Lauwenstein erklärte, die fünfhundert Francs seien nur ein Almosen. Der Colonel gab ihnen nicht einmal eine Antwort, das hat er Willy überlassen. Alle waren betrunken. Die Negretti war auf dem Dach eingeschlafen, und Wladimir mußte sie in die Kajüte tragen.«
Maigret stand am Fenster und ließ seinen Blick über die schwarze Linie des Kanals wandern. Zur Linken konnte er die kleine Schmalspurbahn erkennen, die immer noch Steine und Erdreich fortkarrte.
Der Himmel war grau, und etwas tiefer ballten sich schwärzliche Wolkenfetzen zusammen, aber es regnete nicht.
»Und dann?«
»Das ist so gut wie alles. Am Freitag soll Mary Lampson also nach Paris gekommen sein und sich dort, im Coupole, mit unseren beiden Hübschen getroffen haben.
Und da hätte sie ihnen dann die Perlenkette gegeben …«
»Ach ja? Nur ein kleines Geschenk, nicht der Rede wert …«
»Moment! Gegeben mit dem Auftrag, sie zu verkaufen und den Erlös mit ihr zu teilen. Sie soll behauptet haben, von ihrem Mann bekomme sie kein Geld auf die Hand.«
Das Zimmer hatte eine Tapete mit einem Muster aus kleinen gelben Blumen. Die Emaillekanne fügte eine fahle Note hinzu.
Maigret sah den Schleusenwärter eilig in Begleitung eines Schiffers und seines Treidlers herüberkommen, um ein Glas Rum am Tresen zu trinken.
»Das ist alles, was ich aus ihnen herausbekommen habe!« schloß Lucas. »Ich habe mich gegen zwei Uhr morgens von ihnen verabschiedet und Inspektor Dufour beauftragt, sie unauffällig zu überwachen. Dann bin ich ins Präsidium gegangen, um die Kartei durchzusehen, entsprechend Ihren Anweisungen. Ich habe die Karte von Willy Marco gefunden, der vor vier Jahren wegen einer ziemlich undurchsichtigen Spielbankaffäre aus Monaco ausgewiesen worden ist und den man im vergangenen Jahr aufgrund der Strafanzeige einer Amerikanerin festgenommen hat, die er um einige Schmuckstücke erleichtert haben soll. Aber die Anzeige wurde zurückgezogen, ich weiß nicht warum, und Marco wieder auf freien Fuß gesetzt. Glauben Sie, daß er es war, der …«
»Ich glaube gar nichts. Und ich schwöre Ihnen, daß es mein voller Ernst ist, wenn ich das sage. Vergessen Sie nicht, daß das Verbrechen am Sonntag nach zehn Uhr abends begangen worden ist, zu einer Zeit, als die ›Southern Cross‹ in La Ferté-sous-Jouarre lag …«
»Was halten Sie von dem Colonel?«
Maigret zuckte die Schultern und zeigte auf Wladimir, der aus der Luke am Bug auftauchte und den Weg zum Café de la Marine einschlug, in weißen Hosen, Leinenschuhen und Pullover, mit einer amerikanischen Mütze schräg über einem Ohr.
»Monsieur Maigret wird am Telefon verlangt!« rief das rothaarige Mädchen durch die Tür.
»Kommen Sie mit nach unten, Alter …«
Der Apparat hing im Korridor, neben einem Garderobenständer.
»Hallo? Ist da Meaux? … Was sagen Sie? … Ja, die ›Providence‹ … Sie hat den ganzen Donnerstag lang in Meaux Fracht aufgenommen? … Freitag um drei Uhr morgens losgefahren … Sonst noch welche? Die ›Eco III ‹. Das ist doch ein Tankschiff, nicht wahr? … Freitag abend in Meaux. Weiterfahrt Samstag morgen … Vielen Dank, Kommissar … Ja, vernehmen Sie vorsichtshalber weiter … Immer noch unter derselben Adresse!«
Lucas hatte dieses Gespräch mitgehört, ohne daraus schlau zu werden. Und bevor Maigret den Mund aufmachen konnte, um ihm alles zu erklären, erschien ein Polizist mit einem Fahrrad vor der Tür.
»Eine Mitteilung vom Erkennungsdienst. Dringend!«
Der Beamte war bis zum Gürtel mit Schlamm bespritzt.
»Kommen Sie doch einen Moment zum Trocknen herein und trinken Sie einen Grog auf mein Wohl.«
Maigret zog den Inspektor mit sich fort zum Leinpfad, öffnete den Umschlag und las halblaut:
Ergebnis der ersten Untersuchungen im Mordfall von Dizy: Im Haar des Opfers sind zahlreiche Spuren von Harz sowie rotbraune Pferdehaare nachzuweisen.
Die Flecken auf dem Kleid sind Petroleumflecken.
Zum Todeszeitpunkt bestand der Mageninhalt aus Rotwein und konserviertem Rindfleisch, ähnlich dem, welches im Handel unter der Bezeichnung
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