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Maigret und die Affäre Saint Fiacre

Maigret und die Affäre Saint Fiacre

Titel: Maigret und die Affäre Saint Fiacre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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gewichtigen Schritts d a vongegangen, wie ein Theaterdirektor, dem nichts daran liegt, der Aufführung beizuwohnen.
    Als einzige Männer verblieben Maigret, der Mesner und der Priester – ein junger Priester mit dem leidenschaftlichen Blick eines Mystikers. Er beeilte sich nicht wie der alte Pfarrer, den der Kommissar gekannt hatte, ließ auch nicht die Hälfte der Versikel aus.
    Die Kirchenfenster wurden blasser. Draußen brach der Tag an. Eine Kuh muhte auf einem Hof.
    Und bald beugte jedermann den Nacken zur Wandlung. Das helle Glöckchen des Ministranten bimmelte.
    Lediglich Maigret kommunizierte nicht. Sämtliche Frauen gingen zur Bank, die Hände gefaltet, die Gesichter ausdruckslos. Hostien, so bleich, daß sie unwirklich erschienen, schimmerten kurz in den Händen des Pri e sters.
    Die Messe nahm ihren Fortgang. Die Gräfin hatte das Gesicht in den Händen verborgen.
     
    » Pater noster … «
    » Et ne nos inducas in tentationem … «
     
    Die Finger der alten Dame entkrampften sich, enthüllten das verhärmte Antlitz, öffneten das Meßbuch.
    Noch vier Minuten! Die Orationen. Die letzte Lesung! Dann kam der Schluß, der Aufbruch. Und es würde nichts geschehen sein, kein Verbrechen! Denn in der Ankündigung hieß es ja ausdrücklich:
     
    … während der Frühmesse …
     
    Die Bestätigung, daß es gleich fertig war, gab der Mesner, indem er sich erhob und in die Sakristei ging …
    Die Gräfin Saint-Fiacre hatte erneut den Kopf zwischen den Händen. Sie regte sich nicht. Die meisten a n deren alten Frauen hielten sich ebenso starr.
     
    »Requiescat in pace … Er ruhe in Frieden …«
     
    Jetzt erst merkte Maigret, wie bange ihm gewesen war. Das war ihm gar nicht richtig bewußt geworden. U n willkürlich atmete er auf. Ungeduldig wartete er auf das Ende der letzten Lesung, stellte sich vor, wie er draußen die frische Luft einatmen, die Leute sich rühren sehen, sie über dieses und jenes schwatzen hören würde …
    Die alten Frauen regten sich alle auf einmal. Füße scharrten über die kalten blauen Steinfliesen. Eine Bäuerin wandte sich dem Ausgang zu, dann eine weitere. Der Mesner erschien mit einem Kerzenlöscher, und bläulich aufsteigende Rauchfäden lösten die Kerzenflammen ab.
    Es war Tag. Graues Licht erfüllte das Kirchenschiff, in dem zugleich Durchzug aus allen Richtungen einsetzte.
    Es blieben noch drei Personen … Zwei … Ein Stuhl rührte sich … Nur die Gräfin war noch da, und Ma i grets Nerven spannten sich vor Ungeduld.
    Der Mesner, mit seinen Verrichtungen fertig, schaute zu Madame de Saint-Fiacre hin. Aus seiner Miene sprach kurz Unschlüssigkeit. Im selben Augenblick trat der Kommissar vor.
    Beide standen sie dicht neben ihr, verwundert über ihre Unbeweglichkeit, bemüht, das zwischen den Händen versteckte Gesicht zu sehen.
    Maigret, tief beunruhigt, berührte ihre Schulter. Und der Körper schwankte als hätte ihn bloß ein Nichts noch gehalten, sank zu Boden, blieb reglos liegen.
    Die Gräfin de Saint-Fiacre war tot.
     
    Man hatte den Körper in die Sakristei transportiert und dort auf drei nebeneinander gereihte Stühle gelegt. Der Mesner war davongeeilt, um den Arzt des Dorfes zu h o len.
    Und Maigret vergaß indes völlig, wie befremdend se i ne Anwesenheit wirken mußte. Er brauchte etliche M i nuten, um den mißtrauisch fragenden Ausdruck im brennenden Blick des Priesters zu verstehen.
    »Wer sind Sie?« fragte dieser endlich. »Wie kommt es, daß …?«
    »Kommissar Maigret von der Kriminalpolizei.«
    Er schaute dem Pfarrer ins Gesicht. Ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, mit gleichmäßigen, jedoch so strengen Zügen, daß sie an die unnachgiebige Glä u bigkeit der Mönche in alter Zeit gemahnten. Eine tiefe Erregung ließ ihn erbeben. Eine nicht mehr so sichere Stimme murmelte:
    »Sie wollen doch nicht sagen, daß …«
    Man hatte nicht gewagt, das Kleid der Gräfin zu öffnen. Umsonst hatte man ihr einen Spiegel an die Lippen gehalten, ihr Herz abgehorcht, das nicht mehr schlug.
    »Ich sehe keine Wunde«, begnügte sich Maigret zu s a gen.
    Sein Blick glitt durch den Raum, über das unwandelbare Dekor, an dem dreißig Jahre nicht das Geringste verändert hatten. Die Meßkännchen waren noch am gleichen Ort, ebenso das für die nächste Messe bereitg e legte Gewand des Priesters, Kleid und Chorhemd des Ministranten.
    Das trübe Tageslicht, das durch ein Spitzbogenfenster einfiel, nahm der Öllampe ihren letzten Schein. Es war zugleich warm und kalt.

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