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Maigret und die Affäre Saint Fiacre

Maigret und die Affäre Saint Fiacre

Titel: Maigret und die Affäre Saint Fiacre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Inhalt
    1 . Das schielende Mädchen
    2 . Das Meßbuch
    3 . Der Chorknabe
    4 . Marie Vassilew
    5 . Der zweite Tage
    6 . Die zwei Lager
    7 . Rendezvous in Moulins
    8 . Die Einladung zum Diner
    9 . Im Zeichen von Walter Scott
    10 . Die Totenwache
    11 . Die zweitönige Pfeife
     
    1
    Das schielende Mädchen
    E
    in zaghaftes Pochen an der Türe; das Geräusch e i nes auf die Diele gestellten Gegenstands; eine ve r haltene Stimme:
    »Es ist halb sechs! Eben wurde die Frühmesse eingeläutet …«
    Maigret brachte die Sprungfedern zum Quietschen, als er sich im Bett aufstützte, und während er verdutzt zum schrägen Dachfenster hinschaute, fuhr die Stimme fort:
    »Wollen Sie kommunizieren?«
    Der Kommissar stand nun, die Füße nackt auf dem eiskalten Boden. Er ging zur Türe, die von einer um zwei Nägel geschlungenen Schnur zugehalten wurde. Schritte huschten davon, und als er auf den Gang hinaustrat, erspähte er eben noch eine weibliche Gestalt in Unterjäckchen und weißem Unterrock.
    Er nahm den Krug mit heißem Wasser auf, den Marie Tatin ihm gebracht hatte, machte die Zimmertür wieder zu und suchte nach einem Spiegel, um sich davor zu r a sieren.
    Die Kerze hatte bloß noch ein paar Minuten zu leben. Draußen, vor dem Dachfenster, war noch schwarze Nacht, kalte, den nahenden Winter ankündigende Nacht. Einige wenige welke Blätter hingen noch an den Zweigen der Pappeln am Hauptplatz.
    Wegen der beidseitigen Dachschräge konnte Maigret sich nur im Mittelteil der Mansarde aufrechthalten. Er fror. Die ganze Nacht hindurch war ihm ein Luftzug, von dem sich nicht ausmachen ließ, woher er kam, eisig über den Nacken gestrichen.
    Doch gerade der Umstand dieses Kältegefühls irritierte ihn, weil er ihn in eine Stimmungswelt versetzte, die er glaubte vergessen zu haben.
    Das Einläuten der Frühmesse … Die Glocken über dem schlafenden Dorf … Als kleiner Junge war Maigret nie sogleich aufgestanden … Er wartete bis zum zweiten Geläut, um Viertel vor sechs, denn zu rasieren brauchte er sich in jenen Tagen nicht … Hatte er sich überhaupt je wenigstens flüchtig gewaschen?
    Heißes Wasser brachte man ihm damals nicht … Es kam vor, daß das Wasser im Krug gefroren war … Wenig später hallten dann seine Schuhe auf der frostharten Straße.
    Jetzt, beim Ankleiden, hörte er Marie Tatin unten im Schankraum hin und her gehen, den Ofenrost rütteln, mit Geschirr klappern, Kaffee mahlen.
    Er zog seine Jacke an, seinen Mantel. Bevor er hinausging, nahm er aus seiner Brieftasche ein Blatt Papier mit angehefteter Aktenbegleitnotiz, die den Vermerk trug:
     
    Stadtpolizei Moulins an Kriminalpolizei Paris – zu allfä l liger Bearbeitung
     
    Dann das Blatt, kariertes Papier. Darauf in säuberlicher Schrift:
     
    Ich gebe Ihnen hiermit folgendes bekannt: Es wird ein Verbrechen geschehen, und zwar in der Kirche von Saint-Fiacre, während der Frühmesse zu Allerseelen.
     
    Die Mitteilung war in den Büros am Quai des Orfèvres mehrere Tage lang herumgelegen. Maigret hatte sie z u fällig erblickt und gestutzt:
    »Saint-Fiacre bei Matignon?«
    »Vermutlich, da es uns von Moulins übermittelt wird.«
    Und Maigret hatte das Blatt eingesteckt. Saint-Fiacre! Matignon! Moulins! Ortsnamen, die ihm vertrauter w a ren als alle anderen.
    Er war in Saint-Fiacre geboren, wo sein Vater während dreißig Jahren als Schloßgutsverwalter gewirkt ha t te. Und eben beim Tod des Vaters war er zuletzt dort gewesen; man hatte ihn auf dem kleinen Friedhof bee r digt, hinter der Kirche.
     
    Es wird ein Verbrechen geschehen … während der Frü h messe …
     
    Maigret, am Vortag eingetroffen, war im einzigen Gasthof abgestiegen, jenem von Marie Tatin.
    Sie hatte ihn nicht wiedererkannt, er aber sie, wegen ihrer Augen. Das schielende Mädchen, so war sie einst genannt worden! Aus dem schmächtigen Mädchen von damals war eine noch hagerere alte Jungfer geworden, ärger schielend denn je, in rastlosem Hin und Her zw i schen Schankraum, Küche und Hof, wo sie Kaninchen und Hühner hielt.
    Der Kommissar ging hinab. Unten sorgten Petroleumlampen für Licht. In einer Ecke war für ihn gedeckt. Grobes Schwarzbrot. Der Geruch von Zichorie n kaffee, dampfende Milch.
    »Sie tun unrecht, an einem Tag wie diesem nicht zu kommunizieren! Vor allem, da Sie sich die Mühe machen, zur Frühmesse zu gehen … Mein Gott! Schon das zweite Geläut! …«
    Die Glocken klangen schwach. Man hörte Schritte auf der Straße. Marie Tatin enteilte in die Küche, um dort

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