Maigret und die alte Dame
ich Sie nichts gefragt habe. Unterbrechen Sie mich, wenn Ihnen danach ist, aber ich brauche Ihre Bestätigung nicht.
Sie beschlossen also, die Rose aus dem Weg zu räumen, bevor sie Gelegenheit hätte, Sie zu verraten - zumindest hofften Sie das -, und Sie passten den günstigsten Augenblick ab, der sich Ihnen bot. Der berühmte 3. September! Der einzige Tag im Jahr, an dem die ganze Familie hier zusammenkam, diese Familie, die Sie hassten, einschließlich Ihrer Tochter.«
Wieder wollte sie etwas sagen, aber er ließ sie gar nicht zu Wort kommen.
»Sie kannten die Schwäche Ihres Dienstmädchens für Medikamente, für Medikamente aller Art. Wahrscheinlich haben Sie gesehen, wie sie aus Ihrer Apotheke welche wegnahm. Wahrscheinlich trank sie jeden Abend den Rest des Schlafmittels aus Ihrem Glas. Sehen Sie, dieses Verbrechen ist das Verbrechen einer Frau und insbesondere das Verbrechen einer einsamen alten Frau. Eines dieser von langer Hand geplanten Verbrechen, an das man stundenlang denkt und das man immer weiter ausspinnt.
Wie sollte ich Sie verdächtigen, wenn das Gift offenbar für Sie bestimmt war? Der Verdacht musste auf Ihre Tochter und alle anderen fallen.
Für Sie reichte die Erklärung, das Getränk habe bitter geschmeckt und Sie hätten es auch Ihrem Mädchen gesagt. Nun bin ich aber sicher, dass Sie absichtlich nichts sagten.«
»Sie hätte es trotzdem getrunken!«
Sie gab nicht auf, wie man hätte meinen können. Sie saß da, hörte konzentriert jedes Wort und legte sich ihre Antworten zurecht.
»Sie gingen davon aus, dass die örtliche Polizei die Untersuchung einleiten, aber nichts herausfinden werde. Sie bekamen erst Angst, als Sie erfuhren, dass ich von Paris geschickt wurde und sich Charles Besson dafür eingesetzt hatte.«
»Sie sind zu bescheiden, Monsieur Maigret.«
»Ich weiß nicht, ob ich bescheiden bin, aber Sie haben den Fehler gemacht, zum Quai des Orfèvres zu kommen. Das Verdienst, sich an mich gewandt zu haben, wollten Sie sich zuschreiben.«
»Und woher sollte ich gewusst haben, dass Charles an Sie gedacht hat, wenn Sie mir das erklären können?«
»Ich weiß es nicht. Das ist ein Detail, das sich später klären wird.«
»Es gibt wohl einige Details aufzuklären, denn Sie haben keinerlei Beweise für das, was Sie da so überzeugend vortragen.«
Maigret ging auf die Herausforderung nicht ein.
»Das gilt auch für den Schmuck. Hier vor Ihnen liegen meine Schlüssel auf dem Tisch. Gehen Sie doch hinauf und suchen Sie nach ihm.«
Er hielt inne und schaute sie, von diesem neuen Problem beunruhigt, an, wobei er Selbstgespräche zu führen schien:
»Vielleicht benutzten Sie die Reise nach Paris, um ihn irgendwo zu deponieren. Nein, Sie würden ihn nicht so weit weg verstecken. Sie haben ihn in keiner Bank deponiert, wo man ihn finden könnte.«
Sie lächelte verschmitzt.
»Fangen Sie an zu suchen!«
»Ich finde ihn.«
»Wenn Sie ihn nicht finden, lässt sich keine Ihrer Behauptungen aufrechterhalten.«
»Wir kommen gegebenenfalls darauf zurück.«
Es tat ihm jetzt äußerst leid, dass er die Karaffe in seinem Wutanfall zerschlagen hatte, denn er hätte jetzt gern einen Schluck getrunken.
»Ich habe heute Abend, als ich bei Ihnen vorbeischaute, absichtlich von den Beziehungen zwischen Rose und Theo gesprochen und ihr Treffen vom Mittwoch erwähnt. Ich wusste, dass Sie darauf reagieren würden. In Ihrer Angst, ich könnte Theo ausfragen und er würde reden, versuchten Sie, sich mit ihm zu treffen, ohne dass Sie jemand sah. Vielleicht wollten Sie ihn auch endgültig zum Schweigen bringen. Ich habe mir überlegt, wie Sie es angestellt haben, sich mit ihm zu treffen, ohne gesehen zu werden. Ich dachte nicht an das Telefon. Genauer gesagt, ich dachte nicht an die alte Mademoiselle Seuret, die gleich nebenan wohnt und die Sie manchmal besuchen.«
Er wandte sich zu Theo.
»Kennen Sie sie?«
»Ich habe sie seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen.«
»Ist sie krank?«
»Sie war früher schon halb taub und blind.«
»Unter diesen Umständen haben wir die größten Chancen, den Schmuck bei ihr zu finden.«
»Sie sind dabei, von A bis Z eine Geschichte zu erfinden«, sagte sie aufgebracht. »Sie reden und reden und sagen sich, einmal werden Sie schon ins Schwarze treffen. Sie halten sich wohl für besonders schlau.«
»Sie haben Theo von ihrer Wohnung aus angerufen, und wahrscheinlich mussten Sie mehrere Nummern wählen, bis Sie ihn schließlich in einer Bar ausfindig
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