Maigret und die alte Dame
Bleistift?«
»Ich habe mein Notizbuch.«
»Setz dich an den Tisch. Mach es dir bequem, denn du wirst es dort eine Weile aushalten müssen. Du schreibst ihre Antworten auf.«
Wieder ging er auf und ab, immer verfolgt von dem Blick der alten Dame, während Theo seine Schuhspitzen fixierte.
Schließlich baute er sich vor diesem auf und fragte weniger wütend als verächtlich:
»Wussten Sie, dass Henri heute Abend nach Etretat kommen würde?«
»Nein.«
»Wären Sie auch nach La Bicoque gekommen, wenn er nicht angerufen hätte?«
»Ich weiß es nicht. Möglich.«
»Wo waren Sie, als er erschossen wurde? Auf der Straße? Im Garten?«
»Im Garten, in der Nähe des Zauns.«
Valentine fuhr zusammen, als sie hörte, dass ihr Stiefsohn ganz in ihrer Nähe stand, als sie zu Mademoiselle Seuret lief, um den Doktor anzurufen.
»Sie fanden sich sicher gut?«
»Das ist meine Sache.«
»Wussten Sie, dass Madame einen Revolver besaß?«
»Ich wusste, dass sie den Revolver meines Vaters behalten hatte. Bitte, Herr Kommissar, können Sie mir sagen, ob...«
»Überhaupt nichts! Ich stelle hier die Fragen!«
»Und wenn ich mich weigere zu antworten?«
»Das würde überhaupt nichts ändern, außer dass ich mich vielleicht dazu hinreißen ließe, Ihnen ins Gesicht zu schlagen, wozu ich schon eine Viertelstunde Lust habe.« Dem Ernst der Situation zum Trotz und ungeachtet des Toten, der noch im Zimmer nebenan lag, konnte sich Valentine ein befriedigtes, fast fröhliches Lächeln nicht verkneifen.
»Seit wann wissen Sie davon?«
»Wovon sprechen Sie?«
»Hören Sie, Besson! Ich möchte Ihnen nicht raten, hier den Dummen zu spielen. Seit wann wissen Sie, dass der Schmuck Ihrer Stiefmutter nie verkauft wurde und sie den echten Schmuck und nicht die Imitationen behalten hat, wie immer behauptet wurde?«
Sie zuckte zusammen und schaute Maigret verblüfft und mit unwillkürlicher Bewunderung an; sie rutschte unruhig in ihrem Sessel hin und her, als ob sie etwas sagen wollte, aber er beachtete sie überhaupt nicht.
»Ich glaubte es nie so recht.«
»Warum?«
»Weil ich sie kannte und weil ich meinen Vater kannte.«
»Wollen Sie damit sagen, dass sie Angst vor der Armut hatte und eine Frau ist, die durchaus ihre Vorsichtsmaßnahmen trifft?«
»Ja. Mein Vater tat alles, was sie wollte.«
»Wurde bei der Heirat zwischen beiden Gütertrennung vereinbart?«
»Ja.«
»Wie hoch schätzen Sie den Wert des Schmucks?«
»Wahrscheinlich auf mehrere Millionen nach dem jetzigen Kurs. Es muss sich einiges darunter befinden, wovon wir nichts wissen, denn mein Vater schämte sich uns gegenüber, wenn er so viel Geld für sie ausgab.« »Als er starb und Ihnen gesagt wurde, dass der Schmuck schon lange verkauft sei, haben Sie dann nicht mit Ihrem Bruder oder Arlette darüber gesprochen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil ich nicht sicher war.«
»Ist es nicht eher so gewesen, dass Sie damit rechneten, sich mit Valentine einigen zu können?« Dieser entging kein Wort, keine Bewegung und kein Blick Maigrets und Theos. Sie registrierte alles und viel gründlicher als Castaing, dessen Stenographiekenntnisse ziemlich mangelhaft waren.
»Ich antworte nicht auf diese Frage.«
»Weil Sie sie unter Ihrer Würde finden, nicht wahr? Haben Sie darüber mit Valentine selbst gesprochen?«
»Auch nicht.«
»Weil Sie wussten, dass sie hartnäckiger als Sie ist, und darauf warteten, den Beweis in der Hand zu haben. Wie sind Sie an diesen Beweis gekommen? Und wann?«
»Ich habe mich bei Freunden aus der Diamantenbranche nach einigen Schmuckstücken erkundigt, die auf dem Markt nicht angeboten werden konnten, ohne aufzufallen, und so habe ich erfahren, dass sie nicht mehr in den Handel kamen, jedenfalls nicht in Frankreich und wahrscheinlich auch nicht anderswo in Europa.«
»Sie haben fünf Jahre geduldig gewartet.«
»Ich verfügte noch über etwas Geld. Ich habe einige Geschäfte gemacht.«
»Als Sie dieses Jahr am Ende Ihres Lateins waren, kamen Sie nach Etretat auf Urlaub. Die Bekanntschaft mit Rose war wohl nicht ganz unabsichtlich, genauso wenig wie die Art, ihrer Eigenheit zu hofieren.«
Schweigen. Valentine reckte den Kopf wie ein Vogel, und zum ersten Mal sah Maigret ihren bloßen Hals, der sonst immer mit einem breiten schwarzen, mit einer Perle verzierten Samtband verdeckt war.
»Jetzt überlegen Sie gut, bevor Sie antworten. Wusste Rose schon davon, als Sie sie kennenlernten? Oder fing sie erst auf Ihr Betreiben an, in der
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