Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret und die Unbekannte

Maigret und die Unbekannte

Titel: Maigret und die Unbekannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
Sie es zum letztenmal gesehen?«
    »Ist es wichtig, daß Sie das wissen?«
    »Es kann sehr wichtig sein.«
    »Gestern abend.«
    »Um welche Zeit?«
    »Kurz nach neun.«
    »Ist der Laden bis neun Uhr abends geöffnet?«
    »Ich schließe nie vor zehn. Fast jeden Tag kommen Kundinnen, die in letzter Minute etwas brauchen.«
    Lognon mußte darüber im Bilde sein, sagte aber nichts, als ob ihn das alles nichts anginge.
    »Ihre Kundschaft besteht wohl vor allem aus Animiermädchen und Kabarettkünstlerinnen?«
    »Aus denen und anderen. Manche stehen erst um acht Uhr abends auf, und es fehlt ihnen immer etwas zum Anziehen, Strümpfe, ein Gürtel, ein Büstenhalter, oder sie merken auch, daß ihr Kleid in der vorhergehenden Nacht einen Riß bekommen hat.«
    »Sie haben eben gesagt, Sie hätten dies hier nicht verkauft!«
    Sie drehte sich zu dem jungen Mädchen um, das an der Tür zum Hinterzimmer stand.
    »Viviane, bring mir noch eine Tasse Kaffee.«
    Mit der Beflissenheit einer Sklavin ergriff das junge Mädchen die Tasse.
    »Ist das Ihr Mädchen?« fragte Maigret, während er ihr nachblickte.
    »Nein, mein Schützling. Sie ist auch abends einmal so gekommen und dann geblieben.«
    Sie gab sich nicht die Mühe, es zu erklären. Zweifellos wußte Lognon, dem sie hin und wieder einen Blick zuwarf, auch darüber Bescheid.
    »Um auf gestern abend zurückzukommen…«, sagte Maigret.
    »Sie kam um…«
    »Einen Augenblick. Kannten Sie sie?«
    »Ich hatte sie erst ein einziges Mal gesehen.«
    »Wann?«
    »Vor vielleicht einem Monat.«
    »Hatte sie da schon ein Kleid gekauft?«
    »Nein, sie hatte eins geliehen.«
    »Verleihen Sie Kleider?«
    »Hin und wieder.«
    »Hatte sie Ihnen ihren Namen und ihre Adresse angegeben?«
    »Ich glaube. Ich muß beides aufgeschrieben haben. Wenn ich es suchen soll…«
    »Das hat noch Zeit. Handelte es sich bei dem erstenmal um ein Abendkleid?«
    »Ja. Um dasselbe.«
    »War sie da auch so spät gekommen?«
    »Nein, gleich nach dem Abendbrot, gegen acht Uhr. Sie brauchte ein Abendkleid und hat mir gestanden, daß sie sich keins kaufen könne. Sie hat mich gefragt, ob es stimme, daß ich Kleider verleihe.«
    »Erschien sie Ihnen nicht anders als Ihre sonstigen Kundinnen?«
    »Zuerst kommen sie einem immer ganz anders vor. Aber nach ein paar Monaten sind sie sich alle gleich.«
    »Haben Sie ein Kleid in ihrer Größe gefunden?«
    »Das blaue, das Sie da in der Hand haben. Es ist Größe vierzig. Ich weiß nicht, wie viele Mädchen aus dem Viertel es schon einmal nachts getragen haben.«
    »Hat sie es mitgenommen?«
    »Das erstemal ja.«
    »Und hat sie es Ihnen am nächsten Morgen wiedergebracht?«
    »Am nächsten Mittag. Ich war erstaunt, daß sie schon so früh kam. Gewöhnlich schlafen sie den ganzen Tag.«
    »Hat sie die Leihgebühr bezahlt?«
    »Ja.«
    »Bis gestern abend haben Sie sie nicht wiedergesehen?«
    »Ich habe es Ihnen doch schon gesagt. Es war kurz nach neun, als sie hereinkam und mich fragte, ob ich das Kleid noch hätte. Ich habe ihr geantwortet, ja.
    Darauf hat sie gesagt, diesmal könne sie mir nicht die Hinterlegungssumme zahlen, aber wenn ich nichts dagegen hätte, werde sie mir das Kleid dalassen, das sie anhabe.«
    »Hat sie sich hier umgezogen?«
    »Ja. Sie brauchte auch Schuhe und einen Mantel. Ich habe ein Samtcape gefunden, das ganz gut einen Mantel ersetzt.«
    »Wie wirkte sie?«
    »Nun, wie jemand, der unbedingt ein Abendkleid und einen Mantel braucht.«
    »Mit anderen Worten, das schien für sie wichtig zu sein?«
    »Es scheint denen immer wichtig zu sein.«
    »Hatten Sie den Eindruck, daß sie sich mit jemandem verabredet hatte?«
    Sie zuckte die Schultern und trank einen Schluck Kaffee, den ihr Viviane gerade gebracht hatte.
    »Hat Ihr Schützling sie gesehen?«
    »Sie hat ihr beim Ankleiden geholfen.«
    »Hat sie Ihnen nichts Besonderes gesagt, Mademoiselle Viviane?«
    Statt des Mädchens antwortete die Chefin:
    »Viviane hört nicht, was man ihr sagt. Ihr ist das alles gleichgültig.«
    Es stimmte. Das junge Mädchen schien gar nicht richtig auf der Welt zu sein. Ihre Augen waren völlig ausdruckslos. Sie huschte wie ein Geist hin und her, und neben der dicken Geschäftsinhaberin kam sie einem wie eine Sklavin oder mehr noch wie ein Hündchen vor.
    »Ich habe ihr außerdem noch Schuhe, Strümpfe und eine silberne Handtasche gegeben. Was ist mit ihr?«
    »Haben Sie nicht die Zeitungen gelesen?«
    »Ich bin erst aufgestanden, als Sie geklopft haben. Viviane war gerade

Weitere Kostenlose Bücher