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Maigret und Pietr der Lette

Maigret und Pietr der Lette

Titel: Maigret und Pietr der Lette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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in seiner Jacke geblieben waren. Der Lette unterbrach ihn:
    »Und bitte, Zigaretten für mich!«
    »Und Zigaretten … Gauloises!«
    Er nahm wieder Platz. Schweigend warteten sie, bis das Mädchen die Dinge gebracht und sich zurückgezogen hatte.
    »Sie waren zusammen auf der Universität in Dorpat …«, nahm Maigret den Faden wieder auf.
    Der andere konnte sich weder setzen noch auf einem Fleck stehenbleiben. Er rauchte und kaute dabei an seiner Zigarette, spuckte Tabakkrümel aus, wanderte mit ungleichmäßigen Schritten herum, nahm eine Vase vom Kamin, stellte sie woanders hin und sprach mit wachsender Erregung.
    »Ja, da hat es begonnen! Mein Bruder war der beste Student. Alle Professoren gaben sich mit ihm ab. Die Kommilitonen erlagen seiner Ausstrahlung. So daß er zum Präsidenten der Korporation Ugala gewählt wurde, obwohl er einer der Jüngsten war.
    Wir tranken viel Bier in den Schenken. Besonders ich! Ich weiß nicht, warum ich mit dem Trinken so früh angefangen habe. Ich hatte keinen Grund. Mit einem Wort, ich habe immer getrunken. Ich glaube, hauptsächlich deshalb, weil ich mir nach ein paar Gläsern eine Welt nach meiner Vorstellung bildete, in der ich eine großartige Rolle spielte …
    Pietr war sehr hart gegen mich. Er behandelte mich wie einen ›dreckigen Russen‹. Sie können das nicht verstehen. Unsere Großmutter mütterlicherseits war Russin. Und bei uns galten die Russen, vor allem nach dem Krieg, als Faulenzer, Trunkenbolde und Träumer.
    Damals kam es zu Aufständen, die von den Kommunisten geschürt wurden. Mein Bruder hat sich an die Spitze der Korporation Ugala gesetzt. Sie haben sich in einer Kaserne Waffen geholt und den Kampf mitten in die Stadt getragen.
    Ich hatte Angst … Ich konnte nichts dafür … Ich hatte Angst … Ich konnte nicht marschieren … Ich bin in einer Kneipe geblieben, deren Läden heruntergelassen waren, und hab die ganze Zeit über getrunken …
    Ich glaubte, ich sei dazu bestimmt, ein großer Dramatiker zu werden, wie Tschechow, dessen Werke ich auswendig kannte. Pietr lachte darüber.
    ›Du … Du wirst immer ein Versager bleiben!‹ behauptete er. Es folgte ein Jahr voller Unruhen, Aufstände, das Leben war nicht mehr im Gleichgewicht. Die Armee schaffte es nicht, die Ordnung aufrechtzuerhalten, die Einwohner bildeten eine Art Bürgerwehr, um die Stadt zu verteidigen.
    Mein Bruder, der Führer seiner Korporation, wurde zu einer Persönlichkeit, die die bedeutendsten Leute ernst nahmen. Er hatte noch keinen Bart, als man von ihm bereits als dem künftigen Staatsmann des befreiten Estland sprach.
    Aber die Ordnung wurde wieder hergestellt, und ein Skandal kam ans Licht, der vertuscht werden sollte. Als man die Bücher überprüfte, wurde klar, daß sich Pietr der Ugala vor allem zu seiner persönlichen Bereicherung bedient hatte.
    Als Mitglied mehrerer Komitees hatte er sämtliche Unterschriften gefälscht.
    Er hat das Land verlassen müssen. Er ist nach Berlin gegangen, von dort schrieb er mir, ich solle zu ihm kommen. In Berlin hat dann unsere gemeinsame Laufbahn begonnen.«
     
    Maigret beobachtete das äußerst erregte Gesicht des Letten.
    »Wer hat die Fälschungen gemacht?«
    »Pietr hat mir beigebracht, jede beliebige Handschrift zu imitieren, er ließ mich an einem Chemiekurs teilnehmen … Ich wohnte in einer schmalen Kammer, und er gab mir zweihundert Mark im Monat … Ein paar Wochen später kaufte er sich ein Auto, um seine Geliebte spazierenzufahren.
    Wir fälschten vor allem Schecks … Aus einem Scheck über zehn Mark fabrizierte ich einen über zehntausend Mark, den Pietr in der Schweiz, in Holland und einmal sogar in Spanien einlöste …
    Ich trank viel. Er verachtete mich und behandelte mich schlecht.
    Eines Tages ist er beinahe hochgegangen, weil mir eine Unterschrift nicht so gut gelungen war wie sonst. Es war wirklich keine Absicht.
    Er hat mich mit dem Stock geschlagen …
    Und ich habe nichts gesagt! Ich bewunderte ihn noch immer … Ich weiß nicht, warum … Übrigens hat er auf jeden Eindruck gemacht … Einmal hätte er, wenn er gewollt hätte, die Tochter eines Reichsministers heiraten können.
    Nach dem mißratenen Scheck mußten wir nach Frankreich gehen, wo ich zuerst in der Rue de l’Ecole de Medicine gewohnt habe …
    Pietr arbeitete nicht mehr alleine … Er hatte sich mit mehreren internationalen Banden zusammengetan … Er reiste viel ins Ausland und bediente sich meiner immer weniger … Nur manchmal für

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