Maigret zögert
rötlich schimmerndes Haar und Augen, die landläufig als grün gelten, aber eher von einem unergründlichen Grau waren.
War sie vierzig? Etwas älter? Etwas jünger? Fünfundvierzig? Der Schönheitssalon hatte so gute Arbeit geleistet, dass man das unmöglich sagen konnte.
»Diese Bemerkung muss ich unbedingt Jaqueline weitererzählen. Sie ist die Frau des Innenministers, eine meiner besten Freundinnen.«
Gut! Er war gewarnt. Sie hatte keine Zeit verloren, ihren ersten Trumpf auszuspielen.
»Es sieht so aus, als scherzte ich. Ja, das tu ich. Aber glauben Sie mir, es ist nur Fassade. In Wirklichkeit, Monsieur Maigret, bin ich über das, was vorgeht, sehr in Sorge, mehr als das sogar.«
Und ohne jeden Übergang: »Wie finden Sie meinen Mann?«
»Sehr sympathisch.«
»Natürlich. Das sagt man immer... Ich spreche von...«
»Er ist sehr intelligent, von einer bemerkenswerten Intelligenz und...«
Sie wurde ungeduldig. Sie wollte auf etwas anderes hinaus und schnitt ihm das Wort ab. Maigret, der ihre Hände beobachtete, stellte fest, dass sie älter aussahen als ihr Gesicht.
»Ich glaube, er ist auch sehr empfindsam.«
»Wenn Sie ganz ehrlich wären, würden Sie es nicht eine übertriebene Empfindsamkeit nennen?«
Er öffnete den Mund, aber sie kam ihm zuvor, indem sie schnell fortfuhr:
»Es gibt Augenblicke, da er sich ganz in sich zurückzieht, und das macht mir Angst. Er ist ein Mensch, der leidet. Ich habe es immer gewusst. Als ich ihn heiratete, war eine gewisse Spur Mitleid in meiner Liebe.«
Er spielte den Dummen.
»Warum?«
Für einen Augenblick war sie fassungslos.
»Aber Sie haben ihn doch gesehen! Schon als Kind musste er sich seines Äußeren wegen geschämt haben.«
»Er ist nicht gerade groß. Aber es gibt viele...«
»Hören Sie, Herr Kommissar«, sagte sie nervös, »lassen Sie uns offen reden. Ich weiß nicht, wie groß die erbliche Belastung ist, oder vielmehr, ich weiß es nur zu gut. Seine Mutter war in ihrer Jugend Krankenschwester, genauer gesagt, Hilfsschwester im Laennec-Spital, und sie war erst sechzehn, als ihr Professor Parendon ein Kind machte. Warum hat er, als Chirurg, keinen Eingriff vorgenommen? Hat sie ihm mit einem Skandal gedroht? Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, dass Emile ein Siebenmonatskind war... eine Frühgeburt...«
»Die meisten Frühgeburten entwickeln sich zu ganz normalen Kindern.«
»Finden Sie ihn normal?«
»In welcher Beziehung?«
Nervös drückte sie ihre Zigarette aus, um gleich darauf eine neue anzuzünden.
»Entschuldigen Sie. Ich habe das Gefühl, dass Sie mir ausweichen, dass Sie mich nicht verstehen wollen.«
»Was verstehen?«
Es war zuviel für sie. Sie sprang auf und begann, auf dem chinesischen Teppich auf und ab zu gehen.
»Verstehen, warum ich besorgt bin, warum ich mich, wie man gemeinhin sagt, vor Angst verzehre! Seit nahezu zwanzig Jahren bemühe ich mich, ihn zu schützen, ihn glücklich zu machen, ihm ein normales Leben zu bieten...«
Er rauchte schweigend seine Pfeife und folgte ihr mit dem Blick. Sie trug sehr elegante Pantoffeln, die gewiss nach Maß gefertigt waren.
»Diese Briefe, von denen er mir berichtet hat... Ich weiß nicht, wer sie geschrieben hat, aber sie spiegeln ziemlich genau meine Angst wider.«
»Seit wann haben Sie diese Angst?«
»Seit Wochen, Monaten... Seit Jahren, ich wage es fast nicht zu sagen. Zu Beginn unserer Ehe waren wir immer zusammen. Wir gingen aus, ins Theater, ins Restaurant...«
»Gefiel ihm das?«
»Jedenfalls war er entspannt. Jetzt habe ich den Verdacht, dass er sich nirgends richtig wohl fühlt, dass er sich schämt, anders als die anderen zu sein, und dass er schon immer so gewesen ist...
Schauen Sie, selbst der Entschluss, seine Karriere auf dem Seerecht aufzubauen! Können Sie mir sagen, wie ein Mann wie er aufs Seerecht verfällt? Aus Trotz? Da er vor Gericht nicht plädieren konnte...«
»Warum nicht?«
Sie blickte ihn entmutigt an.
»Aber, Monsieur Maigret, Sie wissen es ebenso gut wie ich! Stellen Sie sich doch diesen kleinen, blassen, schmächtigen Mann im großen Schwurgerichtssaal vor, wie er als Verteidiger um den Kopf eines Verbrechers kämpft!«
Er wollte ihr lieber nicht entgegenhalten, dass es im vorigen Jahrhundert einen ausgezeichneten Strafverteidiger gegeben hatte, der nur einen Meter fünfundfünfzig groß war.
»Er weiß nicht, was mit sich anfangen. Je mehr die Zeit fortschreitet, je älter er wird, desto mehr verbarrikadiert er sich. Wenn wir ein
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