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Maigret zögert

Maigret zögert

Titel: Maigret zögert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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vielleicht in fieberhafter Eile, geschrieben worden war.
    Herr Kreiskommissar,
    Als ich Ihnen meinen ersten Brief geschrieben und Sie darum gebeten habe, mir mittels einer Kleinanzeige zu antworten, konnte ich mir nicht vorstellen, dass Sie sich Kopf voran in diese Affäre stürzen würden, über die ich Ihnen später unentbehrliche Einzelheiten zu geben beabsichtigte.
    Ihr überstürztes Vorgehen hat alles verdorben, und Sie haben inzwischen sicher eingesehen, dass Sie ins Schwimmen geraten sind. Heute haben Sie den Mörder sozusagen provoziert, und ich bin überzeugt, dass er sich Ihretwegen gezwungen fühlt zuzuschlagen.
    Ich täusche mich vielleicht, aber ich glaube, dass es in den nächsten Stunden passieren wird. Ich kann Ihnen nicht mehr helfen. Es tut mir leid. Ich trage es Ihnen nicht nach.
    Maigret las den Brief mehrmals. Sein Gesicht war ernst. Er ging zur Tür und rief Janvier und Lapointe. Lucas war unterwegs.
    »Lest das mal, Kinder.«
    Er beobachtete sie mit einer gewissen Beklommenheit, als wollte er sehen, ob sie ebenso reagierten wie er. Sie waren nicht wie er durch die in der Wohnung verbrachten Stunden vergiftet worden. Sie urteilten gewissermaßen unbefangen.
    Beide beugten sich über das Blatt, und ihre Gesichter zeigten wachsendes Interesse, wurden sorgenvoll.
    »Es spitzt sich zu, möchte man sagen«, murmelte Janvier und legte den Brief auf den Schreibtisch.
    Und Lapointe fragte:
    »Wie sind diese Leute?«
    »Wie alle und wie keine anderen... Ich frage mich, was wir tun können... Ich kann nicht ständig einen Mann die Wohnung bewachen lassen, und es würde übrigens auch gar nichts nützen. Die Räumlichkeiten sind so großzügig angelegt, dass an einem Ende alles Mögliche passieren kann, ohne dass man es am anderen Ende bemerkt. Jemanden am Eingang postieren? Ich werde es heute Nacht tun, um mein Gewissen zu beruhigen. Aber wenn diese Briefe kein Scherz sind, wird der Täter nicht von draußen kommen... Bist du frei, Lapointe?«
    »Ich habe nichts Besonderes zu tun, Chef.«
    »Dann geh hin. In der Pförtnerloge sitzt ein gewisser Lamure, hat früher in der Rue des Saussaies gearbeitet. Dort bleibst du die Nacht über und gehst hin und wieder in den ersten Stock hinauf. Lass dir von Lamure eine Liste der Hausbewohner einschließlich Personal aufstellen und kontrolliere, wer kommt und geht.«
    »Ich verstehe.«
    »Was verstehst du?«
    »Dass wir so, wenn etwas passiert, wenigstens einen Anhaltspunkt haben.«
    Es stimmte, aber dem Kommissar widerstrebte es, die Situation in diesem Licht zu sehen. Wenn etwas passierte... Gut! Da ein Diebstahl nicht in Frage kam, würde es sich nur um einen Mord handeln können. Einen Mord an wem? Durch wen?
    Er hatte mit Menschen gesprochen, sie hatten seine Fragen beantwortet, schienen gebeichtet zu haben. War es seine Sache, verflucht noch mal, zu entscheiden, wer log oder wer die Wahrheit sagte oder ob in dieser ganzen Geschichte gar einer verrückt war?
    Mit großen, fast wütenden Schritten stampfte er laut denkend durch sein Büro, während Lapointe und Janvier sich zublinzelten.
    »Es ist ganz einfach, Herr Kommissar. Man schreibt Ihnen, um Ihnen mitzuteilen, dass man töten wird. Nur, man kann nicht im Voraus sagen, wer wen töten wird, noch wann, noch wie... Warum wendet man sich an Sie? Warum warnt man Sie? ... Ohne Grund. Aus Spaß.«
    Er nahm eine Pfeife und stopfte sie nervös mit dem Zeigefinger.
    »Für wen hält man mich eigentlich? Wenn etwas passiert, wird es heißen, es sei meine Schuld. Dieser blassblaue Fetzen Papier behauptet es schon. Ich war anscheinend übereilig. Was war zu tun?
    Warten, bis eine Todesanzeige kommt? Schön! Und wenn nichts passiert, stehe ich da wie ein Dummkopf, bin ich der Herr, der zwei Tage lang das Geld der Steuerzahler verschleudert hat.«
    Janvier blieb ernst, aber Lapointe konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, und Maigret sah es. Einen Augenblick lang war er einem Wutanfall nahe, aber dann lächelte er ebenfalls und klopfte seinem Mitarbeiter auf die Schulter.
    »Entschuldigt, Kinder. Diese Geschichte bringt mich noch zur Raserei. Dort gehen alle auf Zehenspitzen umher, und ich habe auch schon angefangen, auf Zehenspitzen zu gehen, wie auf Eiern...«
    Und bei der Vorstellung, Maigret auf Eiern gehen zu sehen, musste auch Janvier lachen.
    »Hier kann ich wenigstens mal explodieren. Jetzt geht’s mir besser... Zurück zur Sache: Du, Lapointe, kannst jetzt gehen, unterwegs was essen und dann deinen Posten

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