Maigret zögert
gelesen?«
»Maître Parendon hat mir die Fotokopien gezeigt!«
»Glauben Sie an einen Scherz?«
»Vielleicht. Ich muss gestehen, dass ich nicht viel darüber nachgedacht habe.«
»Immerhin kündigen sie ein Drama an, das sich früher oder später im Haus ereignen soll.«
Tortu sagte nichts dazu. Er holte Papiere aus seiner Tasche und legte sie in den Ordnern ab.
»Ist das Mädchen, das Sie heiraten werden, eine Art jüngere Ausgabe von Madame Parendon?«
Tortu sah ihn erstaunt an.
»Ich bin bereits verlobt, hat man Ihnen das nicht gesagt? Es ist also keine Frage...«
»Ich wollte Sie damit auf Umwegen fragen, was sie von ihr halten.«
»Sie ist aktiv, intelligent, und sie pflegt gekonnt die Beziehungen zu...«
Plötzlich wandte er den Blick zur Tür, in der eben jene Frau erschien, von der gerade die Rede war. Über einem schwarzseidenen Kleid trug sie einen Leopardenmantel. Entweder war sie im Begriff auszugehen, oder sie war soeben nach Hause gekommen.
»Sie sind noch hier?« wunderte sie sich und musterte den Kommissar mit einem kalten, ruhigen Blick.
»Wie Sie sehen.«
Man konnte schwer erraten, wie lange sie schon im Flur gestanden und wieviel von der Unterhaltung sie mitbekommen hatte. Maigret verstand, was Mademoiselle Vague meinte, wenn sie von einem Haus sprach, in dem man nie wusste, ob man nicht belauscht wurde.
»Mein kleiner Baud, wollen Sie bitte gleich der Comtesse de Prange telefonieren, dass ich mich um eine gute Viertelstunde verspäte, weil ich im letzten Augenblick noch aufgehalten wurde? Mademoiselle Vague hat bei meinem Mann und diesen Herren zu tun...«
Mit einem letzten harten Blick auf Maigret verließ sie den Raum. Julien Baud ging ans Telefon. Tortu konnte zufrieden sein, denn wenn Madame Parendon seine letzten Antworten gehört hatte, konnte sie ihm nur dankbar sein.
»Hallo! Bin ich richtig bei der Comtesse de Prange?«
Mit einem kleinen Schulterzucken ging Maigret hinaus. Julien Baud gefiel ihm, und er bezweifelte nicht, dass der Junge seinen Weg als Theaterschriftsteller machen würde. Tortu dagegen war ihm unsympathisch, wenn auch ohne Grund.
Mademoiselle Vagues Tür stand auf, aber das Büro war leer. Er ging an Parendons Arbeitszimmer vorbei, in dem er Stimmengemurmel hörte.
Als er in die Garderobe kam, um seinen Hut zu nehmen, tauchte wie zufällig Ferdinand vor ihm auf.
»Halten Sie sich den ganzen Tag in der Nähe der Tür auf?«
»Nein, Herr Kommissar. Ich habe mir aber gedacht, dass Sie bald gehen würden. Madame hat vor wenigen Minuten das Haus verlassen...«
»Ich weiß. Haben Sie mal im Gefängnis gesessen, Ferdinand?«
»Nur im Militärgefängnis, in Afrika.«
»Sind Sie Franzose?«
»Ich bin aus Aubagne.«
»Wie kommt es, dass Sie bei der Fremdenlegion waren?«
»In meiner Jugend... da habe ich ein paar Dummheiten gemacht...«
»In Aubagne?«
»In Toulon. Schlechter Umgang, na ja. Als ich merkte, dass es böse enden würde, trat ich in die Legion ein, indem ich mich als Belgier ausgab.«
»Seither sind Sie nicht mehr in Schwierigkeiten geraten?«
»Ich stehe jetzt seit acht Jahren in Monsieur Parendons Diensten, und er hat sich noch nie über mich beklagt.«
»Gefällt Ihnen Ihr Arbeitsplatz?«
»Es gibt schlechtere.«
»Ist Monsieur Parendon freundlich zu Ihnen?« »Er ist die Anständigkeit selbst.«
»Und Madame?«
»Unter uns gesagt, sie ist ein Kamel.«
»Macht sie Ihnen das Leben schwer?«
»Sie macht allen das Leben schwer. Sie ist überall, kümmert sich um alles, beklagt sich über alles. Ich bin froh, dass mein Zimmer über der Garage liegt.«
»Weil Sie dort Ihre kleinen Freundinnen empfangen können?«
»Wenn ich das täte und das Pech hätte, mich von ihr erwischen zu lassen, würde sie mich sofort entlassen. Wenn es nach ihr ginge, müssten alle Dienstboten kastriert sein... Nein, aber wenn ich dort bin, kann ich wenigstens frei atmen. Und ich kann ausgehen, wenn ich Lust dazu habe, obwohl ich durch eine Klingel von der Wohnung aus zu erreichen bin und mich, wie Madame sagt, vierundzwanzig Stunden am Tag zur Verfügung zu halten habe.«
»Hat sie nachts schon nach Ihnen geläutet?«
»Drei- oder viermal. Wahrscheinlich, um sich zu vergewissern, ob ich auch da bin.«
»Unter welchem Vorwand?«
»Einmal hatte sie ein verdächtiges Geräusch gehört, und ich musste mit ihr durch sämtliche Räume gehen und nach einem Einbrecher Ausschau halten.«
»Eine Katze vielleicht?«
»Es gibt weder eine Katze noch einen Hund
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