Maigret zögert
einnehmen. Wenn sich irgendwas Verdächtiges tut, kannst du mich jederzeit am Boulevard Richard-Lenoir anrufen, selbst wenn es mitten in der Nacht ist...
Gute Nacht, mein Lieber. Bis morgen. Gegen acht wirst du abgelöst.«
Er ging ans Fenster und sagte zu Janvier, während er auf die Seine hinunterblickte:
»Arbeitest du im Augenblick an einer Untersuchung?«
»Ich habe heute Vormittag die beiden kleinen Strolche festgenommen, zwei Bengel von sechzehn Jahren... Sie hatten recht...«
»Würdest du morgen Lapointe ablösen? Es sieht idiotisch aus, ich weiß, und deshalb bin ich auch so wütend, aber ich fühle mich verpflichtet, solche Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, obwohl sie in keiner Weise etwas nützen. Du wirst sehen, wenn etwas passiert, werden sich alle auf mich stürzen.«
Sein Blick war zu einer der Laternen am Pont Saint-Michel gewandert.
»Gib mir mal den Rohrpostbrief.«
Ein Wort, das er vorhin nicht besonders beachtet hatte, war ihm eingefallen, und er fragte sich, ob ihn sein Gedächtnis nicht täuschte.
...ich bin überzeugt, dass er sich Ihretwegen gezwungen fühlt, zuzuschlagen.
Ja, da hieß es zuschlagen. Natürlich konnte damit gemeint sein: einen schweren Schlag versetzen. Aber in den drei Briefen hatte der Schreiber eine gewisse Pedanterie in der Wahl seiner Worte gezeigt.
»Zuschlagen, hörst du? Beide, der Mann und die Frau, haben eine Schusswaffe. Ich dachte gerade daran, sie bitten zu lassen, uns die Waffen auszuhändigen, etwa so, wie man Kindern Streichhölzer wegnimmt. Aber ich kann ihnen doch nicht alle Küchenmesser und alle Brieföffner abnehmen. Man kann auch mit einem Schürhaken zuschlagen, und an offenen Kaminen mangelt es nicht in der Wohnung... Auch nicht an Kerzenständern oder an Statuen...«
In plötzlich verändertem Ton fuhr er fort:
»Versuch mal, Germain Parendon ans Telefon zu kriegen. Er ist Neurologe und wohnt in der Rue d’Aguesseau. Er ist der Bruder meines Parendon.«
Während Janvier, der auf der Schreibtischkante saß, die Nummer wählte, zündete Maigret seine Pfeife wieder an.
»Hallo! Bin ich richtig bei Doktor Parendon?... Hier ist die Kriminalpolizei, Mademoiselle. Das Büro von Kommissar Maigret. Der Kommissar wünscht dringend ein paar Worte mit dem Doktor zu sprechen... Wie?... In Nizza?... Ja, einen Moment...«
Er unterbrach, denn Maigret machte ihm ein Zeichen.
»Frag sie, wo er abgestiegen ist.«
»Sind Sie noch am Apparat? Könnten Sie mir sagen, in welchem Hotel der Doktor abgestiegen ist?... Im >Negresco< ?... Ich danke Ihnen... Ja, kann ich mir denken... Ich will es trotzdem versuchen.«
»Ist er auf Krankenbesuch?«
»Nein. Kongress für Kinder-Neurologie. Das Programm scheint sehr umfangreich zu sein, und der Doktor soll morgen einen Vortrag halten.«
»Ruf im >Negresco< an. Es ist sechs Uhr. Die Arbeitssitzung dürfte beendet sein. Um acht Uhr findet sicher irgendwo ein großes Diner statt, in der Präfektur oder sonstwo. Wenn er nicht gerade bei irgendeinem Cocktail ist...«
Sie mussten zehn Minuten warten, denn das >Negresco< war dauernd besetzt.
»Hallo! Hier ist die Kriminalpolizei in Paris, Mademoiselle. Würden Sie mich bitte mit Doktor Parendon verbinden... Parendon, ja. Einer der Kongressteilnehmer.«
Janvier schob die Hand über die Sprechmuschel.
»Sie sieht nach, ob er in seinem Zimmer ist oder bei dem Cocktail, der gerade im großen Saal im Zwischenstock stattfindet.
Hallo!... Ja, Doktor, entschuldigen Sie. Ich gebe Ihnen Kommissar Maigret.«
Dieser griff nur zögernd nach dem Hörer, denn er wusste plötzlich nicht mehr, was er sagen sollte.
»Entschuldigen Sie die Störung, Doktor...«
»Ich wollte gerade meinen Vortrag noch einmal durchgehen.«
»Das habe ich mir gedacht. Ich habe gestern und heute ziemlich viel Zeit mit ihrem Bruder verbracht...«
»Wie haben Sie sich denn kennengelernt?«
Es war eine fröhliche, sympathische Stimme, die viel jünger klang, als Maigret erwartet hatte.
»Das ist eine ziemlich komplizierte Geschichte, und das ist der Grund, weshalb ich mir erlaubt habe, Sie anzurufen.«
»Hat mein Bruder Schwierigkeiten?« »Jedenfalls nicht solche, die die Polizei angehen.«
»Ist er krank?«
»Wie denken Sie über seinen Gesundheitszustand?«
»Er ist weit weniger schwächlich und anfällig, als er den Eindruck macht. Ich selbst wäre außerstande, so viel Arbeit, wie er sie manchmal in wenigen Tagen bewältigen muss, durchzustehen...«
Maigret musste jetzt wohl oder übel mit
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