Maigret zögert
Antoinettes Beziehungen zu Ihrem Vater?«
»Warum nicht?« entgegnete er und blickte stolz wie ein Hahn. »Sehen Sie dabei etwas Verbotenes?«
»Es geht hier nicht um mich, sondern um Sie.«
»Mein Vater kann tun, was er will, oder nicht?«
»Und Ihre Mutter?«
»Es ging sie nichts an.«
»Was genau meinen Sie damit?«
»Dass ein Mann sehr wohl das Recht hat...«
Er vollendete den Satz nicht, aber der Anfang war schon deutlich genug.
»Sie denken, dies ist der Grund für das Unglück, das sich heute Morgen ereignete?«
»Ich weiß nicht.«
»Waren Sie auf ein Unglück gefasst?«
Maigret hatte sich in den roten Sessel gesetzt und zündete langsam seine Pfeife an, wobei er den hochaufgeschossenen Jungen musterte, dessen Arme zu lang und dessen Hände zu groß schienen.
»Ich war darauf gefasst, ohne darauf gefasst zu sein.«
»Drücken Sie sich deutlicher aus. So eine Antwort würde Ihr Lehrer im Lycée Racine nicht akzeptieren.«
»Ich hatte Sie mir ganz anders vorgestellt.«
»Finden Sie mich grob?«
»Ich glaube fast, ich bin Ihnen unsympathisch. Sie verdächtigen mich für ich weiß nicht was...«
»Das ist richtig.«
»Aber doch nicht des Mordes an Antoinette? Außerdem war ich da in der Schule.« »Ich weiß. Ich weiß auch, dass Sie Ihren Vater aufrichtig verehren.«
»Ist das was Schlechtes?«
»Keineswegs. Gleichzeitig halten Sie ihn für einen wehrlosen Menschen.«
»Was wollen Sie damit andeuten?«
»Nichts Böses, Gus. Ihr Vater ist, außer vielleicht bei seinen Geschäften, nicht zum Kämpfen bereit. Er denkt, dass alles, was ihm widerfährt, nur durch seine eigene Schuld passiert.«
»Er ist ein intelligenter und gewissenhafter Mensch.«
»Antoinette war auf ihre Art auch wehrlos. Kurz, Sie beide, Antoinette und Sie, waren da, um über Ihren Vater zu wachen. Das war der Grund, weshalb zwischen Ihnen eine Art Komplizenschaft entstand.«
»Wir haben nie über solche Dinge gesprochen.«
»Das glaube ich gern. Trotzdem spürten Sie, dass Sie auf derselben Seite standen. Deshalb versäumten Sie es nie, auch wenn Sie ihr gar nichts zu sagen hatten, zu ihr zu gehen, mit ihr in Kontakt zu bleiben.«
»Worauf zielen Sie ab?«
Zum ersten Mal wandte der junge Mann, der mit einem Kupferdraht spielte, den Kopf ab.
»Ich bin am Ziel. Sie waren es, Gus, der mir die Briefe schickte, und Sie waren es, der gestern bei der Polizei anrief.«
Maigret sah nur seinen Rücken. Eine lange Pause folgte. Endlich drehte sich der Junge um; er blickte verstört.
»Ich war es, ja... Sie hätten es am Ende doch herausgefunden, nicht wahr?«
Das Misstrauen war aus seinen Augen verschwunden. Man sah es: Der Kommissar war in seiner Achtung gestiegen.
»Wodurch ist Ihr Verdacht auf mich gefallen?«
»Die Briefe konnten nur von dem Mörder oder von jemandem, der Ihren Vater indirekt schützen wollte, geschrieben worden sein.«
»Es hätte auch Antoinette sein können.«
Er wollte ihm lieber nicht entgegenhalten, dass das Mädchen reifer war als er und dass sie sich nicht so umständlich und kindisch angestellt hätte.
»Habe ich Sie enttäuscht, Gus?«
»Ich dachte, Sie würden anders an die Sache herangehen.«
»Wie zum Beispiel?«
»Ich weiß nicht. Ich habe Berichte über Ihre Untersuchungen gelesen. In meinen Augen waren Sie der Mann, der alles verstehen würde.«
»Und jetzt?«
Er hob die Schultern.
»Ich habe keine Meinung mehr.«
»Wen hätte ich verhaften sollen?«
»Ich wollte nicht, dass Sie jemanden verhaften.«
»Aber... Was hätte ich dann tun sollen?«
»Sie sind der Chef vom Morddezernat, nicht ich.«
»War denn bis gestern, bis heute Morgen neun Uhr ein Verbrechen begangen worden?«
»Selbstverständlich nicht...«
»Wovor wollten Sie Ihren Vater schützen?«
Wieder ein Schweigen.
»Ich fühlte, dass er in Gefahr war.«
»In welcher Gefahr?«
Maigret war überzeugt, dass Gus den Sinn seiner Frage verstand. Der Junge hatte seinen Vater schützen wollen. Vor wem? Konnte das nicht genausogut heißen, ihn davor zu schützen, dass er sich selbst etwas antat?
»Ich will nicht mehr antworten.«
»Warum?«
»Darum!«
Und entschlossen fügte er hinzu:
»Nehmen Sie mich doch mit zum Quai des Orfevres, wenn Sie wollen. Stellen Sie mir stundenlang dieselben Fragen. Ich bin in Ihren Augen vielleicht nur ein frecher Bengel, aber ich schwöre Ihnen, ich werde nichts mehr sagen!«
»Ich werde Sie nichts mehr fragen. Es ist Zeit, zu Tisch zu gehen, Gus.«
»Es ist mir egal, wenn
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