Maigret zögert
in einer gewissen Harmonie.«
»Und das haben Sie zu erreichen versucht?«
»Ich habe versucht, die Zügellosigkeit meiner Mutter zu bremsen, ihre Unberechenbarkeit zu dämpfen.«
»Ihr Vater hat Ihnen nicht geholfen?«
Ihre Vorstellungen deckten sich keineswegs mit denen ihres Bruders, aber es gab doch in einigen wenigen Punkten eine gewisse Übereinstimmung.
»Mein Vater hatte es aufgegeben.«
»Wegen seiner Sekretärin?«
»Ich will darauf nicht antworten, ich will nichts mehr sagen... Versetzen Sie sich in meine Lage. Ich komme von der Sorbonne nach Hause und finde...«
»Sie haben recht. Aber glauben Sie mir, ich tue das alles nur, um Schlimmeres zu verhüten. Stellen Sie sich eine Untersuchung vor, die sich wochenlang hinziehen würde, die Ungewissheit, die Vorladungen bei der Kriminalpolizei, in die Kanzlei des Untersuchungsrichters ...«
»Daran hatte ich nicht gedacht. Was werden Sie tun?«
»Ich habe noch nichts entschieden.«
»Haben Sie zu Mittag gegessen?«
»Nein. Und Sie auch nicht. Ihr Bruder wartet bestimmt schon im Esszimmer auf Sie.«
»Isst mein Vater nicht mit uns?«
»Er zieht es vor, allein in seinem Büro zu bleiben.«
»Und Sie, essen Sie nichts?«
»Hunger habe ich im Augenblick nicht, aber ich gestehe, dass ich sterben könnte vor Durst...«
»Was möchten Sie trinken? Bier? Wein?«
»Egal was, das Glas muss nur groß sein.«
Sie musste lächeln.
»Warten Sie einen Moment...«
Er hatte ihr Lächeln verstanden. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er wie ein Bote in die Küche oder in den Personalraum ging. Sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass er sich zu Gus und ihr ins Esszimmer setzte, während sie schweigend ihr Mahl einnahmen.
Als sie wiederkam, trug sie nicht etwa ein Tablett in den Händen. In der einen Hand hielt sie eine Flasche sechsjährigen Saint-Emilion, in der anderen ein Kristallglas.
»Seien Sie mir bitte nicht böse, wenn ich etwas schroff und bestimmt auch wenig hilfreich gewesen bin.«
»Sie sind alle sehr hilfreich. Nun gehen Sie schnell essen, Mademoiselle Bambi.«
Es war ein komisches Gefühl, dort im äußeren Zipfel der Wohnung im Büro Tortus und des jungen Schweizers allein mit einer Flasche und einem Glas zu sitzen. Da er von einem großen Glas gesprochen hatte, hatte sie ihm ein Wasserglas gebracht, und er schämte sich nicht, es bis an den Rand zu füllen. Er hatte wirklich Durst. Und er brauchte auch etwas zur Aufmunterung, denn er hatte einen der anstrengendsten Vormittage seiner Laufbahn hinter sich. Gut, er wusste genau, dass Madame Parendon ihn erwartete. Es war ihr nicht entgangen, dass er sämtliche Mitglieder dieses Haushalts verhört hatte, bis auf sie, und voller Ungeduld musste sie sich fragen, wann er endlich zu ihr käme.
Hatte sie sich auch etwas zu essen in ihr Boudoir bringen lassen, so wie ihr Mann es getan hatte?
Er stand am Fenster und trank in kleinen Schlucken seinen Wein. Sein Blick wanderte über den Hof, wo er zum ersten Mal keine Autos geparkt sah. Nur eine rötliche Katze räkelte sich in der Sonne. Da Lamure ihm gesagt hatte, dass es außer dem Papagei kein einziges Tier im Haus gab, musste dies eine Katze aus der Nachbarschaft sein, die sich ein friedliches Plätzchen gesucht hatte.
Er überlegte, ob er ein zweites Glas trinken sollte, füllte es dann aber nur zur Hälfte und stopfte erst seine Pfeife, bevor er es trank.
Dann stieß er einen Seufzer aus und machte sich durch die ihm schon vertrauten Flure auf den Weg zum Boudoir.
Er brauchte nicht zu klopfen. Trotz des Teppichs hatte man seine Schritte gehört, und die Tür öffnete sich, als er vor ihr anlangte. Madame Parendon, nach wie vor in ihrem blauseidenen Negligé, hatte Zeit gefunden, sich zu schminken und zu frisieren, und ihr Gesicht bot fast denselben Anblick wie tags zuvor.
Wirkte sie nicht etwas abgespannter, etwas müder? Er spürte einen Unterschied, etwas wie einen Bruch, aber er merkte nicht, was es war.
»Ich habe Sie erwartet...«
»Ich weiß. Sie sehen, ich bin gekommen.«
»Warum waren Sie so sehr darauf bedacht, erst mit allen anderen zu sprechen?«
»Vielleicht wollte ich Ihnen Zeit zum Nachdenken geben?«
»Ich brauche nicht nachzudenken. Worüber auch?«
»Darüber, was passiert ist. Darüber, was unausweichlich geschehen wird...«
»Wovon sprechen Sie?«
»Wenn ein Mord begangen wurde, folgen ihm früher oder später eine Verhaftung, eine gerichtliche Untersuchung, ein Prozess.«
»Inwiefern betrifft das
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