Maigret zögert
von der Papeterie Roman geliefert.«
»Haben Sie selbst es gekauft?«
»Bestimmt nicht. Sie wird es ausgesucht haben.«
»Mademoiselle Vague saß hinter ihrem Schreibtisch und sah wahrscheinlich Dokumente durch. Einen Teil davon hatte sie Julien Baud zum Überprüfen gegeben.«
Parendon machte nicht den Eindruck eines wachsamen Mannes, der nur darauf wartet, dass man ihm eine Falle stellt. Er hörte aufmerksam zu, vielleicht ein wenig von der Wichtigkeit überrascht, die Maigret diesen Details beimaß.
»Die Person, die sie ermordet hat, wusste, dass sie dieses Radiermesser in der Schreibschale finden würde, andernfalls hätte sie eine Waffe mitgebracht.«
»Wer sagt Ihnen, dass sie nicht bewaffnet war, ihre Absicht nicht geändert hat?«
»Mademoiselle Vague sah die Person das Radiermesser nehmen, wurde nicht misstrauisch, blieb auf ihrem Stuhl sitzen. Sie arbeitete weiter, während die Person hinter sie trat und...«
Parendon überlegte, rekonstruierte in Gedanken die Szene, die Maigret soeben geschildert hatte, und sein Gehirn arbeitete mit der Präzision des großen Zivilanwalts, der er war.
Nichts Weichliches lag in seiner Haltung. Ein Gnom vielleicht, wenn man sich über kleinwüchsige Menschen lustig machen darf, aber ein Gnom von ganz erstaunlicher Intelligenz.
»Ich glaube, Sie werden nicht umhin kommen, als mich noch vor Ablauf des Tages zu verhaften«, sagte er plötzlich.
Aus seiner Stimme klang keinerlei Sarkasmus. Er war ein Mann, der sich, nachdem er das Für und Wider abgewogen hat, den Tatsachen stellte.
»Für meinen Verteidiger wird das eine Gelegenheit sein, sich im Artikel 64 zu üben«, fügte er, diesmal mit ironischem Unterton, hinzu.
Wieder einmal war Maigret wie vor den Kopf geschlagen. Seine Verwirrung steigerte sich noch, als sich die Verbindungstür zum großen Salon öffnete und Madame Parendon in der Tür erschien. Sie war weder gekämmt noch geschminkt. Sie trug das blaue Negligé vom Vortag, hielt sich sehr gerade, sah aber trotzdem um Jahre gealtert aus.
»Entschuldigen Sie die Störung...«
Sie sprach, als wäre nichts im Haus geschehen. »Ich nehme nicht an, Kommissar, dass ich das Recht auf ein Gespräch unter vier Augen mit meinem Mann habe? Das kommt nicht oft bei uns vor, aber unter den gegebenen Umständen...«
»Im Augenblick kann ich Ihnen nur gestatten, mit ihm in meiner Gegenwart zu sprechen.«
Sie kam nicht weiter ins Zimmer herein, blieb vor dem sonnendurchfluteten Hintergrund des Salons stehen. Die beiden Männer hatten sich erhoben.
»Nun gut. Sie tun Ihre Pflicht.«
Sie zog an der Zigarette, die sie in der Hand hielt, und blickte zögernd von einem zum anderen.
»Darf ich Sie zunächst fragen, Monsieur Maigret, ob Sie schon eine Entscheidung gefällt haben?«
»In welcher Hinsicht?«
»Hinsichtlich des Ereignisses heute Morgen. Ich habe gerade davon erfahren und nehme an, dass Sie eine Verhaftung vornehmen werden.«
»Ich habe noch keine Entscheidung gefällt.«
»Schön. Die Kinder werden bald nach Hause kommen, und es ist besser, die Dinge bis dahin klargestellt zu haben... Sag mir, Emile, hast du sie getötet?«
Maigret traute seinen Augen und Ohren nicht. Die beiden standen sich gegenüber, drei Meter trennten sie, ihre Blicke waren kalt, ihre Gesichter hart.
»Du wagst es, mich zu fragen, ob...«
Parendon rang nach Atem, seine kleinen Fäuste ballten sich vor Wut.
»Spiel hier keine Komödie! Antworte, ja oder nein?«
Und plötzlich brach der Zorn aus ihm heraus, was ihm sicher nicht oft in seinem Leben passiert war. Als wolle er den Himmel beschwören, hob er beide Arme in die Luft und stampfte und schrie:
»Nein! Herrgott nochmal! Das weißt du doch genau!«
Es sah aus, als wollte er sich gleich auf sie stürzen.
»Das ist alles, was ich hören wollte... Danke.«
Und sie drehte sich mit selbstverständlicher Miene um und schloss die Tür hinter sich.
6
Entschuldigen Sie, dass ich die Fassung verloren habe, Monsieur Maigret. Es ist sonst nicht meine Art...«
»Ich weiß.«
Und gerade weil er das wusste, war Maigret ins Grübeln geraten.
Der kleine Mann stand vor ihm, sein Atem wurde wieder normal, seine Selbstbeherrschung kehrte zurück. Noch einmal fuhr er sich über das Gesicht, das nicht etwa rot, sondern gelblich geworden war.
»Hassen Sie sie?«
»Ich hasse niemanden. Weil ich nicht glaube, dass ein menschliches Wesen jemals völlig verantwortlich ist.«
»Der Artikel 64!«
»Ja, der Artikel 64. Es ist mir egal, ob
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