Maigrets Nacht an der Kreuzung
Hund und eine Katze, die nebeneinander schliefen.
Der Wirt bediente, während man seine Frau in der Küche Schnitzel braten sah.
»Wie heißt der Besitzer der Autowerkstatt an der Kreuzung?« erkundigte sich Maigret, während er eine Sardine verzehrte, die als Vorspeise herhalten mußte.
»Monsieur Oscar.«
»Wohnt er schon lange hier?«
»Vielleicht seit acht, vielleicht seit zehn Jahren. Ich habe nur einen Karren und ein Pferd, daher …«
Und der Mann bediente sie uninteressiert weiter. Er war nicht sehr redselig. Er machte sogar einen recht ve r schlossenen Eindruck, als wäre er mißtrauisch.
»Und Monsieur Michonnet?«
»Das ist der Versicherungsagent.«
Das war alles.
»Trinken Sie Weißen oder Roten?«
Er mühte sich eine Weile damit ab, ein Stückchen Kork, das in die Flasche gefallen war, herauszufischen, bis er den Wein schließlich umfüllte.
»Und die Leute im Haus der Drei Witwen?«
»Die habe ich eigentlich noch nie gesehen. Jedenfalls nicht die Dame, die es dort zu geben scheint. Die Hauptstraße gehört schon nicht mehr zu Avrainville.«
»Gut durchgebraten?« rief seine Frau aus der Küche.
Maigret und Lucas sagten schließlich nichts mehr, und jeder hing seinen Gedanken nach. Um neun Uhr, nachdem sie noch einen gepanschten Calvados getrunken hatten, brachen sie auf und gingen erst ein wenig auf und ab, ehe sie den Weg zur Kreuzung einschlugen.
»Sie kommt nicht.«
»Ich würde zu gern wissen, was Goldberg in dieser Gegend zu schaffen hatte. Champagner und geröstete Mandeln! Hatte er Diamanten in seinen Taschen?«
»Nein. Nur gut zweitausend Francs in der Brieftasche.«
In der Autowerkstatt brannte immer noch Licht. Maigret stellte fest, daß Monsieur Oscars Wohnhaus nicht an der Straße, sondern hinter der Werkstatt stand, so daß man die Fenster nicht sehen konnte.
Der Mechaniker im Overall aß auf dem Trittbrett eines Wagens sitzend sein Abendbrot. Plötzlich tauchte aus dem Dunkel der Straße, nur wenige Schritte von den beiden Kriminalbeamten entfernt, der Werkstattb e sitzer auf.
»Guten Abend, Messieurs!«
»Guten Abend«, brummte Maigret.
»Schöne Nacht heute! Wenn’s weiter so bleibt, werden wir an Ostern herrliches Wetter haben.«
»Sagen Sie«, begann der Kommissar in barschem Ton, »bleibt Ihre Werkstatt die ganze Nacht geöffnet?«
»Nicht geöffnet, nein! Aber ein Mann ist immer in Bereitschaft, er schläft auf einem Feldbett. Das Tor ist abgeschlossen. Die Stammkunden klingeln, wenn sie etwas brauchen.«
»Ist nachts viel Verkehr auf der Straße?«
»Nicht sehr viel, ein paar Autos eben. Die Lastwagen, die die Markthallen beliefern. In dieser Gegend wird Frühgemüse und vor allem Kresse angebaut. Manchmal geht einem das Benzin aus, oder es ist eine Kleinigkeit zu reparieren … Wollen Sie nicht auf einen Schluck reinkommen?«
»Danke.«
»Sie täten gut daran! Aber ich will Sie nicht drängen. Nun, haben Sie diese Autogeschichte noch nicht aufgeklärt? Monsieur Michonnet wird noch krank werden vor Ärger, müssen Sie wissen. Wenn er nicht sofort einen neuen Sechszylinder hingestellt bekommt …«
Das Licht eines Scheinwerfers tauchte in der Ferne auf, wurde heller. Dann ein Brummen und ein dunkler Schatten, der vorüberglitt.
»Der Arzt aus Etampes«, murmelte der Werkstattbesitzer. »Er hat Sprechstunde in Arpajon gehabt. Sein Kollege wird ihn zum Abendessen eingeladen haben.«
»Kennen Sie alle Autos, die hier vorbeikommen?«
»Viele. Sehen Sie die beiden Funzeln dort! Da fährt einer seine Kresse zu den Markthallen. Diese Leute sehen einfach nicht ein, daß sie ihre Scheinwerfer einschalten müssen. Dabei nehmen sie auch noch die ganze Breite der Straße ein! … ’n Abend, Jules!«
Oben vom Lastwagen antwortete eine Stimme, dann war er vorüber, und man sah nur noch die roten Rücklichter, die von der Nacht schnell verschluckt wurden.
In der Ferne glitt ein Zug wie eine leuchtende Raupe durch die nächtliche Stille.
»Der Schnellzug von neun Uhr zweiunddreißig. Wollen Sie wirklich nichts trinken? Jojo! Wenn du mit dem Abendbrot fertig bist, dann sieh mal die dritte Zapfsäule nach, da hat sich etwas verklemmt …«
Wieder Scheinwerfer. Aber der Wagen fuhr vorbei. Es war nicht Madame Goldberg.
Maigret rauchte pausenlos. Er ließ Monsieur Oscar vor seiner Werkstatt stehen und begann auf und ab zu gehen. Lucas folgte ihm auf Schritt und Tritt und führte dabei halblaut Selbstgespräche.
Im Haus der Drei Witwen brannte nirgendwo Licht. Die
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