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Maigrets Nacht an der Kreuzung

Maigrets Nacht an der Kreuzung

Titel: Maigrets Nacht an der Kreuzung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Kriminalbeamten gingen zehnmal am Tor vorüber, und zehnmal blickte Maigret mechanisch zu dem Fenster hinauf, von dem er wußte, daß es zu Elses Zimmer gehö r te.
    Dann passierten sie die Villa der Michonnets, ein Neubau ohne jeden Stil, mit einer lackierten Eichentür und einem lächerlichen Gärtchen.
    Dann die Werkstatt, den Mechaniker, der gerade die Zapfsäule reparierte, Monsieur Oscar, der ihm Ratschl ä ge erteilte, während er beide Hände in den Taschen stecken hatte.
    Ein aus Etampes kommender Lastwagen hielt an, um aufzutanken, ehe er nach Paris weiterfuhr. Auf dem Berg von Gemüse lag ein schlafender Mann: der zweite Fa h rer, der jede Nacht zur immer selben Zeit die immer se l be Strecke fuhr.
    »Dreißig Liter!«
    »Wie geht’s?«
    »Ganz gut.«
    Ein lautes Kupplungsgeräusch, und der Lastwagen fuhr davon, ratterte bald mit sechzig Stundenkilometern die abschüssige Straße nach Arpajon hinunter.
    »Sie kommt nicht mehr«, seufzte Lucas. »Wahrschei n lich hat sie sich entschlossen, in Paris zu übernachten.«
    Noch dreimal gingen sie die zweihundert Meter lange Strecke der Kreuzung ab, bis Maigret plötzlich den Weg nach Avrainville einschlug. Als er vor dem Gasthof a n kam, waren dort bis auf eines alle Lichter gelöscht, und die Gaststube war leer.
    »Ich glaube, ich höre ein Auto …«
    Sie drehten sich um. Tatsächlich. Zwei auf das Dorf gerichtete Scheinwerfer bohrten sich durch die Nacht. Ein Wagen wendete gegenüber der Werkstatt und blieb dann mit laufendem Motor stehen. Jemand sprach.
    »Sie fragen nach dem Weg.«
    Schließlich kam der Wagen näher, und die Telegrafenmasten traten nacheinander in sein Licht. Dann erfaßte der Scheinwerferstrahl Maigret und Lucas, die be i de vor dem Gasthof standen.
    Bremsen quietschten. Ein Chauffeur stieg aus, ging um den Wagen herum und öffnete die Tür.
    »Sind wir hier richtig?« hörte man eine Frau im Wageninnern fragen.
    »Ja, Madame. Avrainville. Und es hängt ein Tannenzweig über der Tür.«
    Ein Bein im Seidenstrumpf. Ein Fuß wurde auf den Boden gesetzt. Man ahnte schon den Pelzmantel. Maigret trat vor, um die Besucherin in Empfang zu nehmen.
    In diesem Augenblick gab es eine Detonation. Ein Schrei. Die Frau fiel kopfüber zu Boden, prallte buchstäblich auf und blieb in sich verkrümmt liegen, wä h rend sich eines ihrer Beine krampfartig streckte.
     
    Der Kommissar und Lucas blickten sich an.
    »Kümmere dich um sie!« befahl Maigret.
    Aber schon waren mehrere Sekunden verloren. Der entsetzte Chauffeur rührte sich nicht von der Stelle. Im ersten Stock des Gasthofs wurde ein Fenster geöffnet.
    Der Schuß war aus dem Feld rechts der Straße gekommen. Noch im Laufen zog der Kommissar seinen Revolver aus der Tasche. Er hörte etwas, ein dumpfes Tappen von Schritten auf dem Lehmboden. Aber wegen der Autoscheinwerfer, die einen Teil der Straße grell b e leuchteten, so daß alles andere in tiefer Dunkelheit lag, konnte er nichts sehen.
    Er drehte sich um und schrie:
    »Die Scheinwerfer!«
    Zunächst geschah nichts. Er wiederholte den Ruf. Und dann kam es zu einem katastrophalen Mißverständnis. Der Chauffeur oder Lucas, einer der beiden, richtete die Scheinwerfer direkt auf den Kommissar.
    Und er, auf dem kahlen Feld stehend, hob sich als mächtiger dunkler Schatten deutlich ab.
    Der Mörder mußte weitergerannt sein, nach vorn oder nach links oder rechts, jedenfalls war er außerhalb des Lichtkegels.
    »Die Scheinwerfer! Zum Teufel noch mal!« brüllte Maigret erneut.
    Er ballte die Fäuste vor Wut. Wie ein gejagter Hase rannte er über das Feld. Und wegen diesem Licht schät z te er die Entfernung völlig falsch ein. So sah er plötzlich weniger als hundert Meter vor sich die Zapfsäule der Tankstelle.
    Dann eine menschliche Gestalt, sehr nah. Eine heisere Stimme:
    »Was ist hier los?«
    Maigret blieb jäh stehen, er hätte heulen mögen vor Wut. Er musterte Monsieur Oscar von Kopf bis Fuß und stellte fest, daß dieser keinen Schmutz an seinen Pantoffeln hatte.
    »Haben Sie jemanden gesehen?«
    »Nur ein Auto, dessen Chauffeur sich nach dem Weg nach Avrainville erkundigt hat.«
    Der Kommissar entdeckte ein rotes Licht, das sich auf der Hauptstraße in Richtung Arpajon entfernte.
    »Wer war das?«
    »Ein Lastwagen, der zu den Markthallen fährt.«
    »Hat er angehalten?«
    »Er hat zwanzig Liter getankt.«
    Undeutlich sah man, wie drüben beim Gasthof etwas in Bewegung geriet. Die Scheinwerfer glitten weiter über das einsame Feld. Maigrets

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