Mailverkehr für Anfänger (German Edition)
einfach so, als wäre ich total cool und bestellte einen »Black Magic« mit Wodka. So schwarz wie meine schwarze Seele:-)
Lauschte Ella Fitzgerald und Louis Armstrong, die im Hintergrund gerade forderten »Let’s call the whole thing off« (»Lass uns die ganze Sache abblasen«). Ich dachte ja gar nicht daran! Sah mein Gesicht im Spiegel hinter der Theke leuchten. Große Augen, volle Lippen, zerzauster Lockenkopf. Als käme ich gerade aus dem Bett (in dem ich die Nacht nicht alleine verbracht hatte).
Und begegnete einem Blick im Spiegel. Sonnenstudiogebräunter, gut gebauter Anzugträger mit teurem, weißem Grinsen. Älteres Modell, gut in Schuss. So eine Art Sean Connery für den Hausgebrauch. Saß hinter mir an einem der kleinen Tischchen, in einem Cocktailsessel. Er hob sein Glas, nickte in meine Richtung. Ich lächelte zurück. Er stand auf, kam zu mir an die Bar. Schwang sich auf den Hocker neben mir und sagte:
»Hättest Du was dagegen, wenn ich Dich aus der Nähe anstarre, statt dies über den ganzen Raum hinweg zu tun?«
Ich schüttelte den Kopf, lächelte, hielt mich an meinem Drink fest und war mir sicher, dass der Anzugträger mein Herz klopfen hören konnte.
So etwas ist mir noch nie passiert. Ich habe noch nie einen Kerl in einer Hotelbar aufgerissen. Oder mich aufreißen lassen …
Mike, was ist los, was ist das? Es fühlt sich so gut an. So … berauschend!
Zur Hölle mit den Moralaposteln. Ich habe das Recht, meine Lust auszuleben, und das werde ich auch tun!
Hannah
Betrifft: Menschen im Hotel
Von: Gruber Bestattungen
Datum: 16.11.2012 08:35
Hannah Rossellini,
gut, dass ich auf Naturalien bestanden habe. Von Dir will ich keinen müden Cent mehr. Und wenn Du schon mal dabei bist, dann mach es auch richtig: Kauf Dir ein paar hochhackige Pumps dazu. Kann kein Mann widerstehen.
Warum hast Du gestern Nacht so plötzlich mit Deinem Bericht aufgehört? Ich bin sicher, die Geschichte mit dem Mann aus dem Hotel ist noch nicht zu Ende gewesen.
War gestern unterwegs, eine Leiche abholen. Junges Mädchen. Selbstmord. Betrat die Wohnung, eine alte Dame stürzte auf mich zu. Rotes, verquollenes Gesicht, wutverzerrt.
Was ich denn hier wolle, ich sollte doch auf der Stelle verschwinden. Niemand nehme ihr ihr kleines Mädchen weg, niemand! Leichenfledderer!
Und dann hat sie ausgeholt und mir eine gescheuert.
Ich war so überrascht, dass ich mich nicht gewehrt habe. Schließlich kamen ein paar Verwandte aus dem Wohnzimmer und brachten die tobende Oma weg.
Hab die Überreste des Mädchens zusammen mit einem Kollegen eingesammelt. Ziemliche Schweinerei, Blut überall. Sie hat sich so lange in den Pulsadern herumgestochert, bis es endlich ordentlich floss. Und keiner aus der Familie hat was gemerkt. Das Schlimmste war die Endlosschleife aus ihrer Hi-Fi-Anlage: Evanescence mit »Bring me to Life«.
Zu spät.
Wir haben sie bei uns in die Kühlung verfrachtet.
Ich ging dann noch im Galander ein Bier trinken. Oder zwei. Ich erinnere mich nicht mehr so genau. An eines erinnere ich mich jedoch ganz deutlich. Irgendwann in der Nacht, auf dem Heimweg, Musik im Ohr, Kippe im Mund, habe ich meine Jagdbeute entdeckt. Auf der anderen Straßenseite, vor irgend so einem Nobelschuppen. Sie stieg gerade in ein Taxi. Jedenfalls wartete das Taxi mit offener Tür. Aber sie klebte an diesem Typen dran, und man hätte noch nicht mal ein Tabakblättchen zwischen die beiden schieben können.
Sie sah umwerfend aus. Der Typ weniger. Austauschbarer Karrierehengst. Viel zu große Hand auf ihrem runden Po, Zunge in ihrem Mund bis zum Anschlag.
Der ist also ihr Projekt? Muss der Sex sein. Kann mir das nicht anders erklären.
By the way: Wo bleiben meine Naturalien?
Mike
PS: Eine kleine Nachtmusik für Dich zum Nachgoogeln, mit schönen Grüßen von Papa Mike: »Me and the Devil« von Gil Scott-Heron.
Betrifft: Troubleshooter
Von: H. Zimmermann
Datum: 16.11.2012 17:34
Hallo, Mike!
Mir das Leben zu nehmen, das ist etwas, das ich tatsächlich nie in Erwägung gezogen habe. Bisher jedenfalls nicht. Vielleicht wenn ich unheilbar krank wäre. Aber selbst dann wäre ich zu feige, mir Schmerzen zuzufügen.
Du wirst das Mädchen respekt- und liebevoll wieder zusammenflicken, nicht wahr?
Wie schaffst Du das nur, so einen Job zu machen? Jeden Tag Tod und Leid zu ertragen, Unfallopfer wiederherzurichten, Selbstmörder aufzulesen. Vor Trauer durchgeknallte Omas zu beruhigen.
Kein Wunder, dass Du Dich nachts in einer Bar
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