Mainfall
Blick über den Main, begann auch die Bilder in der Gemäldesammlung des Schlosses aufmerksamer zu betrachten und freute mich auf das gemütliche Nachtlager. In der vierten Nacht allerdings, als ich sogar von einer hübschen Frau träumte, die ich auf den Bildern gesehen hatte, riss mich der grelle Schein eines Blitzlichtes aus dem Schlaf.
»Jetzt haben wir den Beweis«, zischte die Aufseherin vom Vorabend aufgeregt, die mich offensichtlich beobachtet hatte und nun mit ihrer Digitalkamera vor dem Fürstenbett stand. »Das darf ja wohl nicht wahr sein!«, entrüstete sie sich. »Ein Penner im Bett des Fürsten.«
Hinter ihr erschien eine zweite Aufseherin, die scheinbar gerade dabei war, mit ihrem Handy die Polizei zu rufen.
»Bitte nicht!«, flehte ich sie an. »Ich kann alles erklären.«
»Was soll es da zu erklären geben?«, fuhr sie mich an und wählte munter weiter.
»Ich bin der Unbekannte aus dem Main«, stammelte ich verzweifelt. »Bestimmt haben Sie davon in der Zeitung gelesen.«
Dieser Hinweis zeigte Wirkung. Zum Glück ließ sie ihr Handy sinken und starrte mich fassungslos an.
»Aber warum schlafen Sie dann hier im Schloss?«, fragte sie erstaunt.
»Ich wollte nicht ins Aussiedlerheim«, antwortete ich wahrheitsgemäß, während ich langsam aus dem Fürstenbett schlüpfte.
Unschlüssig sahen mich die beiden an. Ich schien ihnen leidzutun.
»Verschwinden Sie und lassen Sie sich hier nie mehr blicken«, sagte die ältere, die ich seit dem ersten Abend kannte.
Ich zog meine Schuhe an, die neben dem Bett standen, warf meinen Mantel über und folgte den Frauen, die mich zum Haupteingang des Schlosses brachten. Stockfinster war es. Sie mussten mich wohl mitten in der Nacht überrascht haben.
»Vielen Dank«, verabschiedete ich mich und machte mich auf den Weg in die Altstadt. Die Turmuhr des Schlosses schlug im selben Augenblick zwölf und machte mir klar, dass ich den größten Teil der Nacht noch vor mir hatte. Wohin jetzt? Alle Kirchen waren um diese Zeit versperrt und die Kneipen gerade dabei, die letzten Gäste zu entlassen. Also doch unter die Willigisbrücke? Hin zu diesem Fluss, der mich fast für immer zu sich genommen hatte? Ratlos zog ich durch die ausgestorbenen Gassen, in denen mich nur der Hall meiner eigenen Schritte begleitete, der von den Häuserwänden abprallte. Der weißgelbe Mond warf zwischen ein paar wild dahintreibenden Wolkenfetzen sein fahles Licht auf das nass glänzende Kopfsteinpflaster.
In meiner Einsamkeit ging ich vom Schlossplatz hinunter an den Main, dorthin, wo der Fluss flach ist und man die Boote zu Wasser lässt. Ich trat mit dem rechten Fuß vorsichtig ins Wasser. Kalt fühlte sich mein Schuh an und nass stieg die Feuchtigkeit mir in den Strumpf. Langsam setzte ich auch den linken Fuß ins Wasser und wunderte mich, dass er kälteempfindlicher war als der rechte. Der Main schwieg, das Schloss blickte still über seine rotbraune Sandsteinmauer herab, die Willigisbrücke grüßte ein Stück flussaufwärts, während ich einen weiteren Schritt tiefer ins Wasser machte.
›Nun komme ich zu dir, lieber Main‹, sagte ich in Gedanken zum Fluss, ›aber ich weiß meinen Namen nicht, hab ihn bei dir vergessen und will ihn von dir zurückhaben. Bitte, gib ihn mir.‹
Ich bückte mich und streckte die rechte Hand ins Wasser. Sanft umspülte die Strömung meine Finger. Ich ging weiter, bis das Wasser mir an die Knie reichte, bis an die Oberschenkel, bis es mir in die Unterhose stieg, aber der Main antwortete nicht. Totenstill lag der Fluss da, die Strömung war kaum zu spüren, einige Enten schliefen zusammengekuschelt am Ufer und die Turmuhr des Schlosses schlug einmal. Tiefer und tiefer ging ich ins Wasser. Es schmeckte nach Sand, nach Gras und nach Algen und füllte mir Nase und Ohren. Plötzlich hörte ich etwas. Zwar konnte ich es unter Wasser nicht verstehen, aber jemand rief nach mir. Vom Ufer kam das Rufen. Es klang bellend, wie die heisere Stimme eines alten Mannes. Zuerst leise, dann immer lauter.
Schon gut, schon gut, dachte ich bei mir. Bestimmt wollen sie mich wieder retten.
Aber weit gefehlt! Gleich darauf spürte ich ein Zerren am Nacken, etwas zog an mir, nicht sehr kräftig, aber doch so, dass ich innehielt und auftauchte. Als ich den Kopf wieder über Wasser hatte, sah ich einen Dackel, der im Wasser paddelte, die Schnauze mühsam über der Oberfläche haltend und wild mit seinen Vorderpfoten strampelnd.
»Mistvieh!«, prustete ich. »Kannst du
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