Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
schon so gut wie tot bin – bis zu zweifelnd, ob das hier gerade wirklich passiert. Obwohl, halt, da ist ein Lichtblick. Bettina grinst unverhohlen zu mir rüber. Ihre Solidarität gibt mir Schwung.
„ Wissen Sie eigentlich, dass Sie mich hätten ernsthaft verletzten können. Ich finde, wir sollten das mit dem Direktor besprechen.“
„ Bring mir sofort den Schlüssel!“
Oh oh! Clint wird sauer.
„ Aber ganz schnell!“
Ich schüttle den Kopf, verschränke die Arme vor der Brust und lächle. Kann es selbst kaum glauben.
„ Bei drei passiert was!“, droht Clint und beginnt, zu zählen.
„ Was denn? Haben Sie einen noch größeren Schlüssel?“
Vereinzeltes Kichern. Clint kommt ganz dicht an meinen Tisch. Er faselt was von ernsthaften Konsequenzen und meinem bedauernswerten Mangel an Disziplin, der mich noch in große Schwierigkeiten bringen wird. Das ist in meinen Ohren an den Haaren herbeigezogener Unsinn, und das sage ich ihm auch. Da aber der Rest der Klasse ein Recht auf Unterricht hat, lenke ich schließlich ein.
Es ist jetzt so still, man hört nur das Klirren der Schlüssel in meiner Hand.
Als käme der Kerkermeister den dunklen Korridor entlang, um die Zelle zu öffnen. Meine Klassenkameraden sehen aus wie Lämmer. Ich kann mich nicht entscheiden, soll ich sie streicheln oder schlachten?
Sie stecken ihre Nasen zwischen den Gitterstäben hindurch und lecken mir den salzigen Schweiß von den Händen.
Als ich Clint sein Wurfgeschoss übergeben möchte, passiert es: Ich stolpere über meine Tasche, mache einen taumelnden Ausfallschritt, und der Schlüsselbund fliegt im hohen Bogen aus dem geöffneten Fenster.
„ Ups!“
Ich bin fassungslos. Clint schubst mich, als ich vor ihm durch die leeren Korridore der Schule gehe. Mehrmals, sogar auf der Treppe. Typ, ich bin dreizehn! Willst du dich mit mir prügeln? Aber ich sage nichts. Wo wir wohl hingehen? Vielleicht will er mich im Fahrradkeller erschießen und meine Leiche fressen.
„ Vorwärts“, raunt er, wie ein Gefängniswärter.
Er schubst, ich taumle. Jetzt ist es genug! Ich wirbel herum und schlage seinen Arm weg. Unsere Blicke verhaken sich.
Sieh mich ruhig an! Sieh ganz genau hin! Auf mich hat dein Studium dich nicht vorbereitet, was? Gegen mich ist John Bender eine Pastorentochter. Schlag mich!
Clint ringt um Fassung. Er ballt die Fäuste. Ich sehe die Adern auf seinem Hals hervortreten. Auf seiner Stirn. Ich will sie mit meinen Klauen öffnen und in seinem Blut baden.
Herr Völker tritt aus dem Lehrerzimmer. Ich nehme wieder menschliche Gestalt an.
„ Wo geht’s hin, Detlef?“, fragt er Clint.
Detlef? Vielleicht ist Clint deshalb so frustriert. Detlef! Na warte. Wenn das die Klasse erfährt
.
„ Herr Greth und ich hatten eine Meinungsverschiedenheit“, knirscht er. „Mein Schlüssel ist aus dem Fenster gefallen.“
Ich verziehe das Gesicht und imitiere ein Furzgeräusch mit den Lippen. Clint verliert für einen Moment die Fassung und stößt mich unbeherrscht.
„ Aber, aber“, interveniert Herr Völker.
Ich weiß nicht, wen von uns er meint. Aber dann nimmt er Clint beiseite. Die beiden gehen ein paar Schritte. Ich verstehe nur Bruchstücke, doch das ist mehr als genug.
„ So geht das nicht! Das sind doch Kinder!“
Herr Völker spricht eindringlich, ohne zu drohen. Von disziplinarischen Konsequenzen, wenn sich so etwas wiederholen sollte. Von Verantwortung und Vorbildfunktion. Clint schweigt. Als er zu mir zurückkommt, ist er verändert. Er scheint geschrumpft. Wie ein Luftballon vom Vortag. Und dann wird es richtig seltsam. Er bittet mich wegen seiner Unbeherrschtheit um Entschuldigung. Stammelt wage von privaten Problemen, die zwar nichts entschuldigen, aber alles erklären sollen, und verspricht, dass das nicht mehr vorkommen wird.
„ Kein Ding“, erwidere ich, damit er aufhört. Denn mir ist die Situation mindestens so unangenehm wie ihm. Und dann schütteln wir uns die Hände wie zwei ebenbürtige Menschen.
Als wir in die Klasse zurückkommen, ist es mucksmäuschenstill. Thomas und Martin sehen sehr erwartungsvoll aus. Aber ich sage nichts. Werde ich auch nicht. Wenn wer fragt: Ich habe Clints Schlüssel geholt. Fertig. Er ist der Lehrer, ich der Schüler. Sollen die anderen doch ihre eigene Revolution starten.
Der Gong reißt mich aus meinen Tagträumereien. Sechste Stunde überstanden. Ich packe langsam meine Tasche, während um mich herum ein regelrechter Wettstreit losbricht, wer es zuerst
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