Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)
meiner Zeugenaussage, zu meinem Verrat. Viele verlangten, dass ich endlich zahlen solle. Ich hatte das Gefühl, ich müsste vor der gesamten Menschheit Rechenschaft ablegen.
Was der Wahrheit ziemlich nahe kam. Von überall waren sie herbeigeeilt. Mit Ü-Wagen, Hubschraubern und Privatjets. Hunderte Reporter, Leute von CNN in Hülle und Fülle, tausende Neugierige, die von den Polizeikräften der umliegenden vier Departements und von Sonderkommandos, die aus Paris gekommen waren, im Zaum gehalten wurden. Alle wollten sie verstehen, was an diesem Tag in diesem Kaff in der Normandie, von dem vorher noch nie jemand etwas gehört hatte, passiert war.
Die amerikanischen Nachrichtensender kramten aus ihren Archiven Material über meinen Prozess, das die europäischen Stationen wieder und wieder ausstrahlten. Aufstieg und Fall einer Verräterfamilie konnten bestaunt werden. Gegen 21 Uhr wusste jeder über alles Bescheid – zumindest glaubten die Leute es. Was mich aber am meisten beunruhigte: Unter den Leichen, die man in den Straßen eingesammelt hatte, fehlte eine. Es war die des Anführers.
Matt Gallone hatte sich in Luft aufgelöst. Das war nichts Außergewöhnliches. Er war nie da, wo man ihn erwartete. Man organisierte eine Suchaktion, zu der sich an die fünfzig Freiwillige meldeten. Foto und Personenbeschreibung wurden über alle Sender ausgestrahlt, Straßensperren wurden errichtet. Sollte Matt je davon geträumt haben, Staatsfeind Nummer 1 zu werden, dann war der große Tag jetzt gekommen. Quint war sich hundertprozentig sicher, dass er Richtung Süden geflohen war. Falls er es bis Sizilien schafft e, so glaubte Matt, werde die Cosa Nostra sich so lange wie notwendig von dort aus um ihn kümmern, bevor er, vielleicht erst nach Jahren, in die Staaten zurückkehren könnte. Tom konnte recht haben, aber mir schwirrte ein anderes Szenario, ein ziemlich schreckliches, im Kopf herum: Matt hatte So Long nicht verlassen. Niemand hier kannte ihn besser als ich. Solange er atmen konnte, würde er die Mission, die sein Großvater ihm anvertraut hatte, erfüllen wollen. Lieber würde er tausend Tode sterben, als die Schande zu ertragen, die seit dem heutigen Tag auf ihm lastete, da der Niedergang des Gallone-Clans eingeläutet worden war. Wie gerne hätte ich mit meiner These unrecht gehabt!
Da noch nicht entschieden war, was mit mir passieren sollte, hatte man mich unter Quarantäne gestellt. Zwischen Washington und Paris glühten die Telefonkabel. Wer da alles aus Gründen der Staatsräson und –sicherheit Anspruch auf den Gefangenen Manzoni erhob! Da waren die amerikanische Regierung, die Geheimdienste, das FBI, aber auch alle möglichen Abteilungen der französischen Polizei, inklusive des kleinen Polizeichefs der Gendarmerie von So Long, der eine der Geiseln auf dem Riesenrad gewesen war. (Er meinte, über diese Demütigung sein Lebtag nicht hinwegkommen zu können.) Mein Fall entwickelte sich zu einem Geduldsspiel für Juristen, Politiker und Diplomaten. Ich jedenfalls verstand nichts mehr. Jahrelang hatte man mich versteckt, jahrelang hatte man alles getan, um mich in vollkommener Anonymität verschwinden zu lassen, und schon morgen sollte mein Gesicht auf der ganzen Welt zu sehen sein! Alle werden sie mich haben wollen. Zum Glück bin ich ein böser Typ. Wenn ich von Grund auf gut gewesen wäre, wäre ich genau jetzt ein für alle Mal verrückt geworden.
Über eines waren sich alle einig: Da alle mich haben wollten, mussten alle mich bekommen. Nur so konnte man die Öffentlichkeit beruhigen und eine politische und mediale Katastrophe verhindern. Alle mussten Giovanni Manzoni sehen und hören können. Ob ich für die einen eine lebende Legende war oder ein ganz gewöhnlicher Dreckskerl für die anderen, ich musste einen Auftritt für die Öffentlichkeit hinlegen. Danach käme alles in Ordnung, die Justiz könnte in Ruhe ihren Job tun.
Tom Quint lag mehr als jedem anderen daran zu zeigen, dass ich den Angriff der Cosa Nostra überlebt hatte. Er war der Gewinner des Tages: In einem halben Tag hatte er mehrere Spitzenkräfte, die in allen Bereichen des organisierten Verbrechens ihr Unwesen getrieben hatten, unschädlich gemacht; das Zeugenschutzprogramm kannte man jetzt weltweit. Und er hatte bewiesen, dass es funktioniert e, hatte er doch das Leben eines Kronzeugen wie ein Pitbull verteidigt. Aus allen Staaten der USA riefen bereits Mafiosi an, die singen wollten. Es war die Krönung seiner Karriere. Damit aber
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