Malefizkrott
Werk einer großen Frauenrechtlerin des Vor märz, heute bekannt unter dem Namen Otto-Peters«, erklärte Richard. »Sie schrieb nicht nur für die Rechte der Arbei ter, sondern auch für die der Arbeiterinnen.«
Ich grinste Unwissenheit in den Laden. Mein Femi nismus hatte erst in den achtziger Jahren begonnen. Dafür aber sehr lila.
»Der erste Band von Schloss und Fabrik ist 1846 erschienen und sofort von der Zensur verboten worden. Eine zensierte Ausgabe kam ein paar Jahre später, drei Bände. Erst 1996, nach dem Fund der Zensurakten, ist es dann wieder aufgelegt worden.«
»Also ist es gar kein vergessenes Buch«, bemerkte ich.
»Wie man es nimmt. Louise Otto-Peters ist als erste Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins bestimmt noch einigen ein Begriff. Aber Schloss und Fabrik gehört sicherlich zu den Büchern, an denen nur hartgesottene Literaturwissenschaftler…äh…innen ihre Freude haben. Im Bücherschrank meines Vaters befand es sich jedenfalls nicht.« Er lachte kurz und bitter. Sein Vater hatte auf der anderen Seite gestanden. Er war Fab rikant gewesen, wenn auch ohne Schloss.
Vorsichtig schlug Richard das Buch auf. Die Bindung knackte leise. Er holte die Lesebrille aus dem Jackett, überflog eine Seite, lächelte peinlich berührt und las vor: ›»Thalheim mogte …‹«
»Mogte? Himmel!«
»›… mogte einige dreißig Jahre zählen. Die Züge seines Antlitzes waren von männlicher Schönheit und antiker Regelmäßigkeit; aber aus den leichten Furchen seiner hohen, breiten Stirn, Furchen, welche nur der Schmerz gezogen haben konnte, war bald zu lesen, daß manch hartes Geschick den Mann getroffen haben mogte, und die Blässe seines Antlitzes, das dunkle Feuer, das in seinen tiefblauen Augen brannte, das schmerzliche Zucken um den Mund, das die Oberlippe emporzog und ihn halb öffnete, so daß man eine Reihe großer mormorweißer Zähne gewahrte, deutete auch jetzt auf ein schmerzlich bewegtes Inneres. Bei all dem aber konnte Thalheims Anblick auch in seiner jetzigen niedergebeugten Stellung weniger Mitleid als Ehrfurcht erwecken. Etwas Unaussprechliches, Unnennbares prägte sich in seiner Gestalt, auf seinem Gesichte aus, etwas Heiliges, Unüberwindliches.‹«
»Was ’n Kitsch!«, seufzte ich und wischte mir eine Träne aus dem Auge, die meine zur Nadel geschmierte Haarspitze gestochen hatte.
Richard hielt den Blick gesenkt und gestand: »Schon hier im Laden, als ich das Buch aufschlug, hat es mir genau diese Stelle angeboten. Ich befand mich damals in einer schwierigen Lebensphase. Ich hatte mich mit meinem Vater überworfen, ich fühlte mich ausgestoßen und gesichtslos. Ich suchte nach meinem Gesicht, nach einem Gestus, den ich mir und meinem Leben geben konnte. Und fand es«, wieder zuckte sein Mund peinlichst be rührt, »in diesem Thalheim, dem edlen Arbeiter, dem heimlichen Schriftsteller, der sich aus Gründen unverdienter Armut hatte verdingen müssen und um seine Würde ringt. Er ist … er war lange Zeit so etwas wie ein … Vorbild möchte ich nicht sagen … eine Selbstprojektion.« Richard blickte uns über die Brillenränder hinweg herausfordernd an. »Manchmal denke ich, Bücher sind das Privateste über haupt. Was wir mit ihnen erleben, bleibt unser Geheim nis, vielleicht unser größtes.«
Warum lüftete er es jetzt?
Durs hatte, ohne es zu merken, die Hand ausgestreckt.
»Ja«, sagte Richard, »ich hatte schon damals den Eindruck, dass Sie das Buch lieber behalten hätten.«
Durs ließ die Hand fallen.
»Tatsächlich ist es ein Buch, das es gar nicht geben sollte. Es ist ein Unikat. Bücher sind normalerweise keine Unikate, es widerspricht ihrem Charakter. Aber dieses hier ist eines. Es ist ein Zwitter aus Alt und Neu. Es ist in Fraktur gedruckt, der Einband ist neu. Und es enthält etwas, was nicht hineingehört.«
Richard blätterte. Wir warteten gebannt, der Buchhändler und ich.
In der Stille hörte man Schritte von unten die Treppe herauftappen. Ein schwerfälliger Mittvierziger erschien. Er trug einen verzogenen Pullover und Jeans. Sein Kinn zierte ein geflochtener Knebelbart, die Haare hatte er zum Pferdeschwanz zurückgebunden, seine Oberlippe war rasiert. Er war Durs wie aus dem Gesicht geschnit ten, nur fehlte seiner Galligkeit der Schleier des Lächelns. »Abend!«, sagte er und begab sich geschäftig hinter die Kassentheke. Er bückte sich und wuchtete ein Postpaket auf den Tisch.
Wir wandten uns wieder Richard zu, der mit aufgeschlagenem
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