Malefizkrott
in Pappkartons unterm Bett gelagert hatte, der Kleiderschrank und der Teppich im Badezimmer, in das ich außerdem ein rundes Tischchen und zwei Designerplastikschalensessel gestellt hatte, einfach nur, weil sie gut aussahen.
Auch wenn das Schöne und Unnütze schleichend Macht über mich gewann, für meinen Auftritt bei einer schöngeistigen Veranstaltung und die Begegnung mit einer jungen – sicherlich hübschen – Autorin brauchte ich was Abschreckendes.
Ich ließ die Lesben-Konzepte Revue passieren. Wenn Männer sich nach Gusto anziehen, geht es nicht darum, gut auszusehen, sondern zum Fürchten. Früher hatte man Messer und Kriegsbemalung, heute gibt es bollerige Jeans, Ringelshirts und bunte Windjacken. Für den Business-Auftritt hat die Lesbe einen dunkelgrauen Dreiteiler mit Hemd, Halstuch und Taschenuhr. Sublim wird’s, wenn sie sich in Rock und Boutiquenjacke schlägt und in Pumps auf die Weltbühne stampft, als sei sie ein geschminkter Mann. Konnte ich alles bieten. Aber im Grunde wollen wir nur das eine: Hardcore. Damals hatte ich gerade im Kino die letzte Folge der Verfilmungen dieses schwedischen Erfolgsautors gesehen – Sie wissen schon, der gestorben ist, bevor er berühmt wurde – und mich in den Comicpunk der Heldin verkuschelt. Das bin ja ich!, hatte ich in der Dunkelheit des Kinos gedacht, nur eben schon viel länger als die. Es war mir eine Erleuchtung gewesen. Seit vierzig Jahren suchte ich mein Ich. Und da sprang es auf der Leinwand umher, dünner, hübscher, mit Asperger-Syndrom – ich habe weniger spektakuläre, bin auch nicht hochbegabt und würde weder einen Kopfschuss überleben, noch aus meinem eigenen Grab krabbeln. Andererseits, wer weiß … Geld habe ich auch.
Im Grunde brauchte ich nicht zu überlegen. Ich zog die Jeans an, die ich mir kürzlich im Abseits für ein Vermögen gekauft hatte: hell, weit, zerschunden, löchrig und ölverschmiert, dazu Bikerstiefel, die Motorradjacke mit Kupfernieten und immer klirrenden Schnallen an Ärmeln und Hüfte, einen schwarzen Hoody mit Kapuze über dem Jackenkragen und jede Menge Leder um die Handgelen ke. Vor dem Spiegel bepinselte ich Wimpern, Brauen und Lider und sprayte die eine lange schwarze Strähne meines ansonsten blondierten Kurzhaars über die Stirn ins Auge. Nicht zu vergessen die Narben, die mir einst eine berstende Windsschutzscheibe ins Gesicht geschlagen hatte. Sie waren in all den Jahren verblasst. Deshalb schattierte ich sie zu besonderen Gelegenheiten mit einem roten Kajal dezent ab.
Cipión stand mit gesenkter Rute in der Tür. Der Da ckel wusste: Je länger ich vor dem Badezimmerspiegel mit Stiften klackerte, desto geringer war seine Chance, mitgenommen zu werden.
»So, ziehet Sie wieder amol in den Krieg?«, fragte Oma Scheible im Treppenhaus. »Passetse uf, gell!«
Draußen herrschte Getröpfel. Schirme verhakelten sich auf dem schmalen Fußweg zwischen Parkplätzen und den Schaufenstern von Sparback und Fimse. Am Ausfahrttor der Staatsanwaltschaft, meinem Haus genau gegenüber, stieg ich in Richards Limousine. Er trug einen bräunli chen Dreiteiler, Schlips und Platinmanschettenknöpfe und den Hochmut des Erfolgs. Dabei ging es ihm gar nicht gut derzeit.
Die Buchhandlung Ursprung lag in der Gerberstraße. Sie war gerade mal eine Tür und ein Fenster breit. Davor stand ein Schemel mit Tisch und Aschenbecher. An der Tür hing ein mit dem Computer gebasteltes Plakat mit der Einladung zur heutigen Lesung. Haare von gewaltiger Schwärze erdrückten das Gesicht der kindlichen Autorin.
»Wir sind zu früh«, bemerkte ich. »Es beginnt zwanzig Uhr, nicht neunzehn Uhr dreißig!« Ein Irrtum, der Richard eigentlich nicht zu unterlaufen pflegte. In seinem Gedächtnis blieben Zahlen und Namen haften wie an einem Fliegenfänger.
»Hm«, machte er, zündete sich eine Zigarette an und ließ den Blick zum Cowboystiefelladen an der Ecke wan dern. »Eigentlich schade ums Gerberviertel«, bemerkte er. »In ein paar Monaten ist es umzingelt von Baustellen. Dann können die Läden alle dichtmachen.«
»Du kaufst eh keine Cowboystiefel.«
»Ich denke nicht immer nur an mich, Lisa! Das sind Existenzen. Die meisten Ladeninhaber haben Schulden gemacht, die noch lange nicht abbezahlt sind. Und abgesehen davon, meine Lesebrille habe ich da drüben um die Ecke in der Sichtbar gekauft. Und in der Nesenbachstra ße gibt es den einzigen Krimibuchladen von Stuttgart, das Under-Cover.«
»Du liest doch gar keine Krimis, Richard. Zu viele
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