Malenka
murmelte, die Uhr gegen ihre Lippen. Frau Dobbertin, die zehn Pfund Zucker und einen Liter Öl aus ihren geheimen Beständen für das Geschenk geopfert hatte, breitete die Arme aus, und Margot küßte auch sie, die Wange zumindest, voll Dankbarkeit und dennoch widerwillig, widerwilliger fast noch als früher, denn Frau Dobbertin hatte wieder Schmalzbrot mit Zwiebeln gegessen und atmete zudem heftig vor Rührung.
Dobbertins blieben bis zum Abend. Für das Gespräch über die Zukunft war es zu spät geworden, und Anna Jarosch beschloß,' es bis zu Margots Geburtstag zu verschieben, ebenfalls ein angemessener Zeitpunkt.
Er fiel diesmal auf den Sonntag, schulfrei also, und auch der Laden blieb geschlossen, so daß wiederum Dobbertins zum Feiern kommen konnten, mit Kaffeebohnen und einer Schüssel Schlagsahne, alles bereits knapper geworden in diesem zweiten Kriegsjahr.
Freundinnen saßen nicht mit am Tisch. Nach wie vor war Margot in der Klasse beliebt, ging nachmittags zum Schülerbummel in der Stettiner Straße, hielt sich auch sonst nicht abseits. Mädchen jedoch, die darüber hinaus mit ihr zusammen sein wollten, wies sie ab, eine nach der anderen, sogar Lore Möller vom Markt, jene Arzttochter, deren elterliches Eßzimmer sie einst bestaunt hatte, eine Freundin eigentlich nach ihren Wünschen. Aber Freundschaft, das hieße, die Kleine Wollweberstraße öffnen zu müssen, wo der Käse waberte und die Dunstschwaden von Anna Jaroschs Wurstbrühe und wo das Vertiko in der Wohnstube stand als einziges Glanzstück, geschmückt mit Hedwig der Braut und Hedwig im Sarg. Wie konnte sie sich eine solche Freundin leisten.
Die Schule am Vormittag, das war ihre Zeit, von ihr allein hing es ab, was sie daraus machte. Nach dem Unterricht jedoch, wenn die Kinder der Ärzte, Lehrer, Beamten, Geschäftsleute nach Hause gingen zu Müttern, die pelzbesetzte Mäntel trugen und Hüte beim Einkäufen, ging sie zu Anna Jarosch, der Wurstfrau mit Kopftuch, Schürze und kauderwelschigen Sprüchen, ein Original beinahe wie Mutter Strippen aus dem Altstädter Armenhaus, wie der klumpfüßige August Krakehl und die Leierkastenjule. Ihre Großmutter sollte nicht preisgegeben werden, aus Liebe, aus Scham, wie die Gefühle voneinander trennen, nicht dem Spott dieser Mädchen. Bessere Kinder, hatte Anna Jarosch sie genannt, was vielleicht nicht richtig gewesen war. Aber man hatte es ihr so beigebracht, und es ließ sich nicht aus der Welt schaffen, nicht so leicht, nicht von heute auf morgen.
Der Geburtstagskaffee war getrunken, Dobbertins waren gegangen, Zeit für das Gespräch.
»Bist fünfzehn jetzt, Malenka«, sagte Anna Jarosch, während sie das gute Geschirr in die Küche trugen, weiß mit Goldrand, einst bei David Mossel erstanden, von dem es längst keine Spuren mehr gab in Pyritz. »Fünfzehn. Schon ein Jahr mehr Schule als andere Leute.«
Margot, die Kaffeekanne in der Hand, sah ihre Großmutter erstaunt an. Nicht wirklich erstaunt. Sie hatte keinen Zweifel an dem, was kommen würde, wie auch bei Anna Jaroschs Hang zu Andeutungen und Winken. Aber ihr Erstaunen sollte auf die Abwegigkeit des Themas hinweisen, obwohl, sie wußte auch dies, es nur ihr abwegig vorkam.
»Das ist so im Lyzeum«, sagte sie, und Anna Jarosch bemerkte, daß man sogar noch mit grauen Haaren in der Schule sitzen könne, solange der Vater alles bezahle.
»Wir bezahlen kein Schulgeld«, sagte Margot.
Anna Jarosch hielt sie fest. »Aber müssen wir essen und trinken, brauchen wir Wohnung und Holz für Ofen, und haben wir kein Esel, was macht Gold in Stube«, sagte sie. »Leben ist schwer, Malenka«, womit ihr Wursthandel gemeint war, der mehr und mehr unter den Folgen des Krieges litt, wie sehr sie sich auch dagegen stemmte mit fragwürdigen, ja anrüchigen Mitteln. So versuchte sie in den nähergelegenen Dörfern an Schwarten, Knochen, Schweineohren, Schweineschwänze heranzukommen, die noch ohne Lebensmittelkarten verkauft werden durften, und hatte sich, um Fleischers- und Bauersfrauen günstig zu stimmen, neuerdings aufs Kartenschlagen verlegt, eine Fertigkeit noch aus ihren Jugendjahren in dem Posener Dorf, lange Zeit schäm voll verschwiegen und jetzt wieder hervorgeholt genau im richtigen Moment. Denn wer war nicht begierig darauf, etwas über den Mann, den Sohn, den Bruder in Erfahrung zu bringen, draußen an den immer zahlreicher werdenden Kriegsschauplätzen im Osten, Westen, Süden, Norden.
Anna Jarosch ging auch hier mit List zu Werke, insofern
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