Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
Vom Netzwerk:
nämlich, als sie ihren Karten nur Gutes entnahm, baldige Nachricht von der Front, Extraurlaub, Schutz und Schirm bei Gefahr, gesunde Heimkehr. Sie tat es wortgewaltig und bilderreich, »sehe ich dunkle Wolke an Himmel, Blitz und Donner, große Feuerwagen und Not für Mann, aber da ist Dame, gute Karte und Glück, schützende Hand wie wunderbare Blume, keine Kugel kann treffen«. Schwindelhafter Klamauk, im Grunde wußte es jeder, und dennoch zeigte man sich dankbar dafür mit Naturalien und mancher Mark, besonders, wenn eine solche Prophezeiung, was ja vorkam, in Erfüllung ging. Daß Anna Jarosch zudem, und dies nun ganz und gar gegen ihr Gewissen, auch noch ein glückliches Ende des Krieges aus ihren Karten herausholte, verschaffte ihr sogar das Wohlwollen der örtlichen Parteibonzen. Grund genug, sich danach stets reumütig zu bekreuzigen. Sie hätte es gern gebeichtet, aber diese Erleichterung blieb ihr weiterhin verwehrt.
    »Kannst du nicht sitzen halbe Leben in Schule, Malenka«, sagte sie. »Handel bald kaputt. Was dann machen? Und was, wenn Tod kommt?«
    »Rede doch nicht immer davon!« rief Margot, eine Bemerkung, die ihre Großmutter unwillig beiseite schob. »Fragt Tod nicht, was du willst. Und mußt du haben Beruf für Geld.«
    Margot schwieg. »Ich will Abitur machen«, sagte sie dann, »und studieren und Lehrerin werden am Lyzeum«, ein Schock für Anna Jarosch, und gleich kam der nächste, drei Schuljahre noch, vier weitere an der Universität, Margot wußte es, sie wußte alles, hatte es erfragt bis ins letzte, die Zeit schon eingeteilt in Semester, Zwischenprüfungen, Examen. Und als erstes das Abitur.
    Anna Jarosch suchte nach Worten, der alte Hochmut, da war er wieder. »Ist Hochmut, Malenka, kann Mensch nicht sein heute Esel und morgen Pferd, lerne in Büro oder bei Bank, wirst du heiraten bessere Mann, kein Fuhrknecht und Kellner, und soll dein Sohn studieren, wenn Sohn hat Kopf, aber du bist Tochter von Hedwig und heißt Jarosch, ist so, bleibt so.«
    Dies Anna Jaroschs Rede, was ließ sich dagegen sagen, was nützte Widerspruch. Während Margot ihre Träume verteidigte, wußte sie schon um die Vergeblichkeit. Ein letztes Jahr blieb noch für die Schule, dann war es vorbei, und es war nicht genug.

    Margots Leben suchen, Margots Geschichte, eine eigene jetzt, vorbei die Zeit von Tausendundeiner Nacht, das Tor schlägt zu, wohin haben die Träume sie getragen.
    Nirgendwohin, hätte sie gesagt, damals, zwei Jahre vor dem verlorenen Abitur, denn die Kreisbank in dem erst kürzlich errichteten Klinkerbau an der Rückfront von St. Mauritius, mit Schwingtür und verglasten Kundenschaltern, wo sie im April 1942 mit der Lehre begann, war nicht ihr Ort. Geh, wurde verfügt, und sie ging, und Anna Jarosch nannte es ein Glück. Die Kreisbank nahm nicht jeden, schon gar nicht jedes Mädchen.
    Daß es Margot war, die man nahm, lag zum Teil an ihrem guten Zeugnis der Mittleren Reife, mehr aber noch an Frau Dobbertin, die sich ihrerseits an Fräulein Lerche gewandt hatte, Lotte beziehungsweise Lottchen Lerche, eine altvertraute Kundin des Ladens und von Einfluß bei der Bank, der sie schon seit sechsundzwanzig Jahren diente, die meisten davon in vollkommener Hingabe.
    Fräulein Lerche mit ihrer verqueren tödlichen Geschichte, von der Margot gestreift wurde in dieser Phase des Übergangs, war schon als Kind zu Frau Dobbertin gekommen, an der Hand ihrer Mutter, einer Katasterbeamtenwitwe, und nach deren Ableben weiterhin in der Kleinen Wollweberstraße wohnen geblieben, zweiundvierzig inzwischen, frühzeitig ergraut und stets schwarz gekleidet, aber von zierlicher Mädchenhaftigkeit wie ehedem. Auch trug sie immer noch den kurzgeschnittenen Pagenkopf à la Asta Nielsen, der ihr seinerzeit in den wilden Zwanzigern, als sie vorübergehend am kessesten von allen die Beine beim Charleston zu werfen verstand, den Namen »flotte Lotte« eingetragen hatte.
    Damals, als der Aufruhr gegen die Konventionen bis nach Hinterpommern schwappte, Zöpfe ab, Röcke kurz, hurra, wir leben noch, war Lottchen Lerche anfänglich dem Treiben im Kolbergschen Festsaal, wo Nacht für Nacht Mädchen ihren Ruf riskierten, ferngeblieben und hatte, das Haar zum Knoten gesteckt, sich der Bank gewidmet, ob freiwillig, sei dahingestellt. Eher wohl unter dem Druck ihrer Mutter, die strikt auf Reputation hielt und der niedlichen Tochter einschärfte, daß es lohnender sei, sich für einen Mann mit gutem Einkommen aufzuheben.
    Dann jedoch, Lotte

Weitere Kostenlose Bücher