Malenka
lutschend, wie Frau Dobbertin Mehl, Graupen, Kaffee abwog, mit der hölzernen Kelle in die Butterkruke fuhr, Leinöl durch einen Trichter laufen ließ, Schmierseife in die Blechbüchse der Kundin füllte, und saugte, die Ohren weit offen, den Klatsch in sich ein, die Geständnisse und Bekenntnisse, von Frau zu Frau, nannte es Else Dobbertin. Genieren Sie sich man nicht, Frau Poggenpuhl, ist doch von Frau zu Frau. Drei Silben, die zu Fratzefrau verschmolzen, Fratzefrau, ein Dämon aus Blut, Schleim, Schmerzen, voll schauerlicher Faszination wie die kullernden Köpfe im Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen.
Und dann die Münzen auf dem Ladentisch, Silber und Kupfer, wie es aneinanderklirrte, das Klirren von Geld, für immer eingeprägt in ihre Erinnerung.
»Was machst du mit soviel Geld?« fragte sie einmal.
»Ist nicht alles mein Geld«, erklärte ihr Frau Dobbertin. »Wenn ich Sauerkohl verkaufe und zehn Pfennig kriege, gehören mir davon zwei, und für den Rest muß ich neuen Sauerkohl kaufen, wenn das Faß leer ist.«
»Wenn ich später mal einen Laden habe«, sagte Margot, »will ich aber mehr Geld kriegen.«
»Ach Göttchen, Laden.« Frau Dobbertin seufzte. Sie seufzte oft, sowohl über das Leben anderer Leute als auch über ihr eigenes. Aufstehen um fünf, rennen den ganzen Tag und abends fast immer zu kaputt für ihre Leidenschaft, die Romane aus Fräulein Liebenows Leihbücherei, schöne Geschichten mit Schlössern und Parks, Intrigen, Edelmut und Liebe, so tröstlich und alltagsfern wie das warme Wasser in Krauls Badeanstalt, wo sie an jedem zweiten Sonnabend sich den Luxus einer vollen Wanne gönnte. »Laden! Denk nicht an so was, Herzchen. Du sollst mal in einem schönen Haus wohnen, rote Teppiche und geschnitzte Möbel und ein Spitzenhimmel über dem Bett, daran mußt du denken.« Und weil gerade niemand da war, hob sie das Kind hoch und drückte es an sich. Margot ließ es nur widerwillig zu, die Arme fest an den Körper gepreßt, den Mund geschlossen. Sie saß gern auf dem Bänkchen bei Frau Dobbertin. Aber Zärtlichkeit empfangen, Zärtlichkeit geben, das gehörte in den ersten Stock, wo die Wurstkessel ihrer Großmutter dampften.
Wurst und Käse, Kindheitsgerüche, allgegenwärtig wie der warme Leib Anna Jaroschs, wie die Stube mit Sofa und Vertiko, das Bänkchen im Laden, wie das Kopfsteinpflaster vor der Tür, über das die Pferdewagen rumpelten, wie die Eierfrauen auf dem Wochenmarkt und die Rufe von August Krakehl, Lumpen, Eisen, Papier, Leute, Lumpen, Eisen, Papier. Allgegenwärtig auch wie die Tore und Türme, wie Stadtmauer und Wall, wie die Kastanien vor St. Mauritius und die Weiden am Mühlengraben, eine Hülle, in der sie ruhte, ohne es zu wissen, und als die Erkenntnis kam, fiel sie heraus.
Das geschah 1933, als Margot die erste Klasse besuchte, in der Mädchenschule beim Franziskanerkloster, wohin ihre Großmutter sie gleich nach Ostern gebracht hatte, sorgenvoll und unter vielen Ermahnungen, nicht reden ohne Frage, Malenka, immer Hände ordentlich auf Tisch, und mußt Knicks machen bei Lehrerin wie bessere Kind. Margot hatte zum Schulanfang ein blaues Kleid bekommen, neuer Stoff, nicht wie sonst aus Hedwigs Hinterlassenschaft, und von der Näherin Rosa Klingbeil mit zahlreichen Biesen sowie einer großen roten Schleife versehen. Wenigstens äußerlich sollte sie den Töchtern der Bürger gleichen.
»Ist nötig«, sagte Anna Jarosch zu Frau Dobbertin, der so ein Luxus fast zu weit ging, »fehlt Kind gute Vater, muß es haben gute Kleid.«
Aus eben diesem Grund hatte sie auch trotz erheblicher Gewissensnöte Margot nach Hedwigs Tod von Pastor Riebeck in St. Spiritus taufen lassen und dem katholischen Pfarrer, der sie mit ihrem eigenen Seelenheil bedrängte, erklärt, daß es nicht mehr um ihre Seele ginge, sondern um das Kind, und das Kind müsse in Pyritz leben, und Pyritz sei evangelisch, und Gott würde es schon verstehen.
Sie sagte es auf polnisch, der Muttersprache auch des geistlichen Herrn, dessen schlichtes Kirchlein, eine zu diesem Zweck umgebaute Scheune in der Soldiner Landstraße, hauptsächlich polnischen Saisonarbeitern von den umliegenden Gütern zum Beten und Beichten diente und wo Anna Jarosch, ihrer protestantischen Eheschließung wegen, ohnehin keine Absolution mehr erhoffen durfte. Das hinderte sie jedoch nicht daran, regelmäßig an der Messe teilzunehmen und dabei, sozusagen auf eigenes Risiko, um Vergebung und einen Platz im Himmel zu
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