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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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sie solle endlich aufhören mit ihren Iffenhausener Juden, Dresden sei auch fürchterlich, und was man mit den Deutschen im Osten gemacht habe. »Du hast es doch selbst erlebt.«
    »Das ist nicht zu vergleichen.«
    »Warum nicht?« fragte er, und die Kristallnacht fiel ihr ein, ihre Großmutter im Aufruhr, und sie sagte: »Wenn die Synagoge nicht gebrannt hätte, wäre Pyritz nicht untergegangen.«
    Er wollte Genaueres wissen, doch sie konnte es ihm nicht erklären, ohne von Anna Jarosch zu sprechen, und Anna Jarosch durfte es nicht geben, auch Pyritz nicht, mit Anna Jaroschs Augen gesehen.
    »Jetzt sind die Polen in Pyritz«, sagte er. »Frag die mal, was sie mit ihren Juden gemacht haben bei den Pogromen. In den Brunnen geschmissen!«
    Margot stand am Fenster, ein regnerischer Oktoberabend, das rote Dach gegenüber blinkte vor Nässe, auf dem Leinekanal, der sich wieder gefüllt hatte nach dem Sommer, trieb ein Teppich von welkem Laub.
    »Wir passen nicht zusammen, Harald«, sagte sie, und auch das lag jenseits von Erklärungen, weil er nicht wußte, wer sie wirklich war, nur Lügen bisher, ein falscher Name, ein falsches Leben. Schon auf dem Hainberg hatte sie ihm die Wahrheit sagen wollen, es stimmt nicht, was ich dir erzählt habe vor einem Jahr, aber die Worte waren steckengeblieben. Harald Hellkamp, der Glücksmensch. Wie konnte einer, dem selbst nachts keine Zweifel kamen, dies alles verstehen, und nun war es zu spät.
    »Wir passen nicht zusammen, es hat keinen Zweck«, wiederholte sie, entschlossen zur Trennung, da stand er neben ihr, sie spürte seine Hände, und es geschah, worauf sie gewartet hatte während des Sommers, diese Stunden der Zärtlichkeit, und nie bis zum Ende. »Komm doch«, sagte er, »komm«, und das war es, ja, das war es, kein Mond, der platzte, aber auch kein Tod und kein Abschied, und nun, weil es die Grenzen nicht mehr gab, sollte er auch das andere wissen, Ulrich Jensch und was dazugehörte und wer sie war.
    Sie legte den Kopf in seine Armbeuge.
    »Liebling«, sagte er, »es ist so wunderbar, daß ich der erste bin«, ein Irrtum das Ganze, er sei, behauptete Wiethe später, auf seine eigenen Wünsche hereingefallen und habe es nicht besser verdient. Sie aber wollte nicht verlieren, was sie gerade bekommen hatte, so blieb es bei der falschen Geschichte, auch als sie Harald Hellkamps Frau wurde.
    Die Frage, ob sie ihn heiraten wolle, stellte er am 18. Juni 1948, dem Tag der Währungsreform, als die alte Reichsmark ihre Gültigkeit verlor. Schon lange war davon gemunkelt worden, doch dann kam es über Nacht, ein Federstrich, vierzig neue Deutsche Mark pro Kopf, und die Bankguthaben abgewertet auf nicht einmal zehn Prozent. Aus der Traum vom Studium. So jedenfalls sagte es Margot zu Harald: »Aus der Traum. Jetzt kann ich mir eine Stelle in der Fabrik suchen.«
    Es war Sonntag. Sie hatten sich zum Essen im »Braunen Hirsch« getroffen, wo es für eine Fünf-Gramm-Fettmarke Béchamelkartoffeln mit Roter Bete gab, und Harald, offensichtlich in Hochstimmung, schien Margots Klagen kaum zu beachten. Vor zwei Wochen hatte er seine Diplomarbeit abgegeben, »Zinsprobleme nach der Theorie von John Maynard Keynes«, und den Erfolg bereits signalisiert bekommen. Nun hoffte er, nach Semesterschluß die Prüfungsklausuren schreiben zu können, sechs Pflichtsemester bis zum Examen, keinen Tag mehr. Denn sein Vater, der schon fünfundsechzig war und nicht ganz gesund, brauchte dringend Hilfe, besonders jetzt vor dem erhofften wirtschaftlichen Aufschwung. Nach der Reparatur des Bombenschadens war der Betrieb notdürftig wieder angelaufen, mit wenigen Webstühlen vorerst, Kohle und Garn nur auf Kungelwegen zu beschaffen. Erst Ende 1947, als die Firma einen größeren englischen Armeeauftrag für Einlagen von Autoreifen ergattern konnte, hatten sich die Zustände etwas gebessert, und nun, erklärte Harald vehement, sei Schluß mit dem Kleinkram. »Genau die richtige Zeit für eine Währungsreform. Jetzt geht es ruck, zuck aufwärts, da kann ich gleich richtig loslegen.«
    »Vielleicht hast du einen Platz als Hilfsarbeiterin für mich«, sagte Margot, enttäuscht und erbittert, weil er nur seine eigenen Interessen zu sehen schien, vermutlich nicht einmal wußte, was die Währungsreform für sie bedeutete. Sie dachte daran, wie schwierig es gewesen war, nach Göttingen zu kommen, dachte an ihr Referat über »Das Dämonische und Elementarische bei Annette von Droste-Hülshoff« und das Angebot ihres

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