Malice - Du entkommst ihm nicht
mehr heraus. Diesmal drückte er die Klinke entschlossen herunter.
Das lang gezogene Miauen ging in ein tiefes Knurren über, das sich in ein schreckliches, heiseres Kichern verwandelte.
Luke schrie auf und machte einen Satz nach hinten, als die Tür aufsprang. Für den Bruchteil einer Sekunde erfasste der Lichtkegel seiner Taschenlampe im Türrahmen etwas Schreckliches, etwas, was nur aus Hörnern, Knochen und blitzenden Reißzähnen zu bestehen schien.
Im nächsten Moment wurde er so geblendet, dass er nichts mehr sah. Er stieß einen Schrei des Entsetzens aus.
Zitternd starrte er in die Tiefe des Kellers. Aber da war kein Ungeheuer, das auf ihn lauerte, nur Stufen, die ins modrig riechende Dunkel führten. Im ganzen Haus waren gleichzeitig sämtliche Lampen wieder angegangen und hatten die Schreckgespenster verscheucht. Ein Schlüssel drehte sich rasselnd im Schloss, dann schwang die Haustür auf und er hörte die Stimme seiner Mutter.
»Luke? Ich bin wieder da!«
Am Abgrund
1
»Nicht loslassen! Um Gottes willen, lass bloß nicht los!«
Seth hatte keineswegs vor loszulassen, aber seine Finger brannten wie Feuer, und er hatte das Gefühl, gleich einen Krampf in den Händen zu bekommen. Lange würde er sich nicht mehr so festkrallen können. Unter seinem dünnen T-Shirt rollte ein eiskalter Schweißtropfen das Rückgrat hinunter. Er drehte vorsichtig den Kopf zur Seite, spähte in den fünf Meter tiefen Abgrund hinunter und versuchte nicht daran zu denken, wie es sich anfühlen würde, auf den zerklüfteten Felsen zerschmettert zu werden.
Neinneinneinichwilldanichtrunterfallen!
Von oben hatte er nicht gesehen, dass der Hang, den er quer hinaufgeklettert war, an einer Stelle abrupt abbrach und senkrecht in die Tiefe stürzte. Und dann war er abgerutscht. Er sah zu Kady auf, die ein paar Meter über ihm stand. Ihr von zwei dicken blonden Zöpfen eingerahmtes Gesicht war angstverzerrt. Seth hing mit ausgestreckten Armen hilflos an der Felskante und schaffte es nicht, sich aus eigener Kraft wieder hinaufzuziehen. Und Kady würde es auch nicht schaffen, dazu war er einfach zu schwer. Er zappelte mit den Beinen und suchte an der Steilwand verzweifelt nach einem Halt, während er mit jeder Sekunde schwächer wurde.
»Ich werfe dir gleich ein Seil zu, okay? Halt dich gut fest!«, rief Kady und verschwand eilig aus seinem Blickfeld. Sie suchte fieberhaft nach einer geeigneten Stelle, an der sie einen Klemmkeil befestigen konnt e – eine dünne Seilschlaufe mit einem halbrunden Metallstück, das man in Felsspalten verkanten konnte, um ein Kletterseil zu sichern. Kady war eine geübte Kletterin und hatte kürzlich von ihrem Stiefvater eine komplette Ausrüstung geschenkt bekommen. Natürlich hatte sie die Sachen heute Morgen eingepackt, bevor sie mit ihren Eltern, Seth und ihrem gemeinsamen Freund Luke zu dem Ausflug in den Peak District Nationalpark aufgebrochen war: Seile, Karabinerhaken, Klemmen, Gurte, Kletterschuhe, Steighandschuhe und diverses andere Zubehör. Die drei Jugendlichen hatten sich bei der ersten Gelegenheit von den Erwachsenen getrennt. Luke wollte alleine die Gegend erkunden, während Seth und Kady beschlossen hatten, nach einer guten Stelle zu suchen, um die Ausrüstung auszuprobieren.
Nur dass es Seth dann doch zu albern gewesen war, sich mit den Gurten und Seilen abzusichern. Der Hang war ihm nicht sonderlich steil vorgekommen.
Die Muskeln in seinen Armen und in seinem Rücken waren zum Zerreißen gespannt und er spürte, wie seine Kräfte immer mehr nachließen. Ohne etwas sehen zu können, tastete er die glatte Felswand mit der Spitze seiner Turnschuhe nach einem Vorsprung ab. Als er den Abhang hinuntergeschlittert war, hatte er sich die Handflächen aufgeschürft, die jetzt höllisch brannten. Er hätte sich gern etwas höher gezogen, aber dazu hätte er mit einer Hand loslassen müssen und das wagte er nicht.
Lange kann ich mich nicht mehr festhalten, dachte er. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn.
»Verdammt, Seth! Da ist nichts, wo ich das Ding festklemmen kann!«, hörte er Kady panisch rufen. »Seth? Seth?« Sie erschien wieder über dem Rand der Klippe und sah zu ihm hinunter. »Da ist nicht die allerkleinste Ritze!«
»Das will ich gar nicht wissen!« Seine Stimme überschlug sich vor Anstrengung. »Such weiter!«
Sie zögerte einen Moment und verschwand dann wieder. Er hörte, wie sie hektisch hin und her lief, um einen Spalt zu finden, in dem sie ihren Keil verankern
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