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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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oder das Badewasser laufen läßt, aber wenn es doch ruft, und wer weiß schon, was ein Telefon tut und wie seine Ausbrüche zu nennen sind? solange es mir jedoch seine Stimme zukommen läßt, ob wir nun einander verstehen, kaum verstehen oder gar nicht mehr, weil das Wiener Telefonnetz für Minuten zusammenbricht, ist mir alles gleichgültig, auch was er mir zu sagen hat, so voller Erwartung, am Aufleben, am Ableben, fange ich wieder an mit ›Hallo?‹. Nur Ivan weiß das nicht, er ruft an oder er ruft nicht an, er ruft doch an.
    Wie nett, daß du mich
    Nett, warum nett?
    Einfach so. Es ist nett von dir
    Aber ich knie auf dem Boden vor dem Telefon und hoffe, daß auch Malina mich nie überrascht in dieser Stellung, auch er soll nie sehen, wie ich niederfalle vor dem Telefon, wie ein Moslem auf seinen Teppich, die Stirn auf den Parkettboden gedrückt.
    Könntest du dich nicht etwas deutlicher
    Ich muß den Hörer, geht es jetzt?
    Und du, was hast du noch vor?
    Ich? Ach, ich nichts Besonderes
    Mein Mekka und mein Jerusalem! Und so auserwählt bin ich vor allen Telefonabonnenten und so werde ich gewählt, mein 72   31   44, denn Ivan weiß mich schon auswendig auf jeder Wählscheibe zu finden und sicherer findet er meine Nummer als mein Haar und meinen Mund und meine Hand.
    Ich heute abend?
    Nein, wenn du nicht kannst
    Aber du bist doch
    Das schon, aber dahin will ich nicht
    Ich halte das aber für, entschuldige
    Ich sage dir doch, es ist ganz ohne
    Du gehst besser hin, denn ich habe vergessen
    Du hast also. Du bist also
    Dann bis morgen, schlaf gut!
    Ivan hat also keine Zeit, und der Hörer fühlt sich eiskalt an, nicht aus Plastik, aus Metall, und rutscht hinauf zu meiner Schläfe, denn ich höre, wie er einhängt, und ich wollte, dieses Geräusch wäre ein Schuß, kurz, schnell, damit es zu Ende sei, ich möchte nicht, daß Ivan heute so ist und daß es immer so ist, ich möchte ein Ende. Ich hänge auf, bleibe auf dem Boden knien, dann schleppe ich mich zu dem Schaukelstuhl und nehme ein Buch vom Tisch RAUMFAHRT – WOHIN ? Ich lese fieberhaft, was für ein Unsinn, er hat ja angerufen, er hat es auch anders gewollt, und ich muß mich gewöhnen, daß er es nicht dazusagt, wie ich nichts weiter sage, das Kapitel ist zu Ende, der Mond ist erobert, und ich sammle die Briefe auf dem Wohnzimmertisch ein, damit sie Malina nicht ärgern, überlese sie noch einmal im Studio, häufe sie auf die Briefe von gestern, schichte Mappen um, SEHR DRINGEND, DRINGEND, EINLADUNGEN, ABSAGEN, BELEGE, UNBEZAHLTE RECHNUNGEN, BEZAHLTE RECHNUNGEN, WOHNUNG , ich kann aber die Mappe ohne Bezeichnung nicht finden, die ich am dringendsten bräuchte, nun geht das Telefon, bestimmt einen ganzen Ton zu laut, es kommt ein Ferngespräch, und ich schreie ein wenig, mit fieberhafter Freundlichkeit, ohne zu wissen, was ich sage und mit wem ich da sprechen muß: Fräulein, Fräulein, Zentrale bitte, man hat uns unterbrochen,Fräulein! War es nun aber München oder Frankfurt? Jedenfalls bin ich unterbrochen worden, ich lege den Hörer auf, die Telefonschnur ist schon wieder verwickelt und sprechend und mich vergessend, verwickle ich mich in sie, es kommt von dem Telefonieren mit Ivan. Ich kann jetzt nicht wegen München, oder was es auch war, zehnmal die Schnur herumdrehen. Sie soll verwickelt bleiben. Es bleibt mir der Blick auf das schwarze Telefon, beim Lesen, vor dem Schlafengehen, wenn ich es neben das Bett stelle. Austauschen lassen könnte ich es freilich gegen ein blaues oder rotes oder weißes, nur wird es nicht mehr dazu kommen, denn es darf sich nichts mehr in meiner Wohnung verändern, damit außer Ivan, dem einzig Neuen, mich nichts ablenkt, und nichts von dem Warten, wenn das Telefon sich nicht rührt.
    Wien schweigt.
    Ich denke an Ivan.
    Ich denke an die Liebe.
    An die Injektionen von Wirklichkeit.
    An ihr Vorhalten, so wenige Stunden nur.
    An die nächste, die stärkere Injektion.
    Ich denke in der Stille.
    Ich denke, daß es spät ist.
    Es ist unheilbar. Und es ist zu spät.
    Aber ich überlebe und denke.
    Und ich denke, es wird nicht Ivan sein.
    Was immer auch kommt, es wird etwas anderes sein.
    Ich lebe in Ivan.
    Ich überlebe nicht Ivan.
    Insgesamt kann da aber kein Zweifel sein, daß Ivan und ich manchmal eine Stunde, manchmal sogar einen Abend finden, etwas Zeit füreinander haben, die anders verläuft. Wir leben ja zwei verschiedene Leben, aber damit ist nicht alles gesagt, denn das Gefühl für die Ortseinheit verläßt uns

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