Malina
uns noch viele Satzgruppen, über Gefühle haben wir noch keinen einzigen Satz, weil Ivan keinen ausspricht, weil ich es nicht wage, den ersten Satz dieser Art zu machen, dochich denke nach über diese ferne fehlende Satzgruppe, trotz aller guten Sätze, die wir schon machen können. Denn wenn wir aufhören zu reden und übergehen zu den Gesten, die uns immer gelingen, setzt für mich, an Stelle der Gefühle, ein Ritual ein, kein leerer Ablauf, keine belanglose Wiederholung, sondern als neu erfüllter Inbegriff feierlicher Formeln, mit der einzigen Andacht, deren ich wirklich fähig bin.
Und Ivan, was kann Ivan denn wissen darüber? Aber trotzdem sagt er heute: Das ist also deine Religion, das also ist es. Seine Stimme hat einen veränderten Ton, weniger heiter, nicht unverwundert. Er wird es am Ende herausfinden, was mit mir ist, denn wir haben ja noch das ganze Leben. Vielleicht nicht vor uns, vielleicht nur heute, aber wir haben das Leben, daran kann kein Zweifel sein.
Ehe Ivan geht, sitzen wir beide auf dem Bett und rauchen, er muß wieder für drei Tage nach Paris fahren, es macht mir nichts aus, ich sage leichthin: ach so, weil zwischen seinen und meinen sparsamen Äußerungen und dem, was ich ihm wirklich sagen möchte, ein Vakuum ist, ich möchte ihm alles sagen, sitze aber nur hier, drücke peinlich genau das Zigarettenende in den Aschenbecher und reiche ihm den Aschenbecher, als wäre es sehr wichtig, daß er keine Asche auf meinen Boden fallen läßt.
Es ist unmöglich, Ivan etwas von mir zu erzählen. Aber weitermachen, ohne mich auch ins Spiel zu bringen? – warum sage ich Spiel? warum denn bloß, es ist kein Wort von mir, es ist ein Wort von Ivan – das ist auch nicht möglich. Wo ich angelangt bin, das weiß Malina, und erst heute haben wir uns wieder über die Landkarten, über die Stadtpläne, über die Wörterbücher gebeugt, über die Worte hergemacht, wir suchen alle Orte und Worte auf und lassen die Aura aufkommen, die ich auch brauche, zum Leben, dann ist Leben weniger Pathos.
Wie traurig bin ich, und warum tut Ivan nichts dagegen, warum drückt er wirklich die Zigarette aus, anstatt den Aschenbecher gegen die Wand zu werfen, die Asche auf den Boden fallen zu lassen, warum muß er mir von Paris reden, anstatt hierzubleiben oder mich mit nach Paris zu nehmen, nicht weil ich nach Paris will, sondern damit mir mein Ungargassenland nicht vergeht und ich es immer festhalten kann, mein einziges, mein über allem liegendes Land. Wenig habe ich gesprochen und viel habe ich geschwiegen, aber ich rede noch immer zu viel. Viel zu viel. Mein herrliches Land, nicht kaiserlich-königlich, ohne die Stephanskrone und ohne die Krone des Heiligen Römischen Reichs, mein Land in seiner neuen Union, das keine Bestätigung und keine Rechtfertigung braucht, aber ich ziehe nur müde einen Läufer vor, mit dem ich doch nach Ivans nächstem Zug zurück muß, ich sage ihm lieber gleich, daß ich aufgebe, daß die Partie für mich verloren ist, aber daß ich gerne einmal mit ihm nach Venedig fahren möchte oder in diesem Sommer an den Wolfgangsee oder, wenn er wirklich nur ganz wenig Zeit hat, einen Tag nach Dürnstein an die Donau, weil ich dort ein altes Hotel kenne, und ich bringe den Wein ins Spiel, weil Ivan den Dürnsteiner Wein so gerne trinkt, aber nie werden wir an diese Orte fahren, weil er immer zu viel zu tun hat, weil er nach Paris muß, weil er morgens um sieben Uhr aufstehen muß.
Hast du Lust, noch ins Kino zu gehen? frage ich, denn mit Lust auf Kino könnte ich Ivan dazu bringen, jetzt noch nicht nach Hause zu gehen, ich habe die Seite mit dem Kinoprogramm aufgeschlagen. DREI SUPERMÄNNER RÄUMEN AUF, TEXAS JIM, HEISSE NÄCHTE IN RIO . Heute aber mag Ivan nicht mehr in die Stadt fahren, er läßt die Schachfiguren stehen, leert sein Glas in einem Zug, er geht besonders rasch zur Tür, wie immer ohne Gruß, vielleicht weil wir noch das ganze Leben vor uns haben.
Ich nähe einen Knopf an meinen Morgenmantel und schaue ab und zu auf den Papierhaufen vor mir. Fräulein Jellinek sitzt mit gesenktem Kopf vor der Schreibmaschine und wartet, sie hat zwei Blätter eingezogen und ein Karbonpapier dazwischen, und da ich schweige und den Faden abbeiße, sieht sie erfreut auf, wenn das Telefon läutet, sie greift nach dem Hörer, und ich sage: Sagen Sie einfach, was Sie wollen, daß ich nicht da bin, daß Sie erst nachsehen müssen (wo aber soll Fräulein Jellinek nachsehen, doch wohl nicht im Kleiderschrank
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