Malina
nicht, und Ivan, der darüber bestimmt nie nachgedacht hat, kann ihr auch nicht entgehen. Heute ist er bei mir, das nächste Mal werde ich bei ihm sein, und wenn er keine Lust hat, mit mir Sätze zu bilden, stellt er sein oder mein Schachbrett auf, in seiner oder meiner Wohnung, und zwingt mich zu spielen. Ivan ärgert sich, es müssen lästerliche oder belustigte ungarische Worte sein, die er ausruft zwischen zwei Zügen, und bisher verstehe im immer nur jaj und jé, und ich rufe manchmal éljen! Ein Ausruf, der sicher nicht angebracht ist, aber doch der einzige ist, den ich schon seit Jahren kenne.
Himmel, was machst du denn mit deinem Läufer, bitte überleg dir diesen Zug noch einmal. Hast du noch immer nicht gemerkt, wie ich spiele? Wenn Ivan obendrein sagt: Istenfáját! Oder: az Isten kinját!vermute ich, daß diese Ausdrücke zu einer Gruppe von unübersetzbaren Ivanflüchen gehören, und mit diesen mutmaßlichen Flüchen bringt er mich natürlich aus dem Konzept. Ivan sagt, du spielst eben ohne Plan, du bringst deine Figuren nicht ins Spiel, deine Dame ist schon wieder immobil.
Ich muß lachen, dann brüte ich wieder über dem Problem meiner Unbeweglichkeit, und Ivan gibt mir mit den Augen einen Wink. Hast du kapiert? Nein, du kapierst ja nichts. Was hast du denn jetzt wieder in deinem Kopf, Kraut, Karfiol, Salatblätter, lauter Gemüse. Ah, und jetzt will mich das kopflose, leerköpfige Fräulein ablenken, aber das kenne ich schon, das Kleid verrutscht an der Schulter, aber da sehe ich nicht hin, denk an deinen Läufer, die Beine zeigt man auch schon seit einer halben Stunde bis über die Knie, doch das nützt dir jetzt gar nichts, und das also nennst du Schachspielen, mein Fräulein, mit mir spielt man aber so nicht, ach, jetzt machen wir gleich unser komisches Gesicht, das habe ich auch erwartet, wir haben unseren Läufer verspielt, liebes Fräulein, ich gebe dir noch einen Rat, verschwinde von hier, geh von E 5 auf D 3, aber damit ist meine Galanterie erschöpft.
Ich werfe ihm meinen Läufer hin und lache noch immer, er spielt ja viel besser als ich, die Hauptsache ist, daß ich am Ende doch manchmal zu einem Patt mit ihm komme.
Ivan fragt, ohne Zusammenhang: Wer ist Malina?
Darauf kann ich keine Antwort geben, wir spielen stumm und stirnrunzelnd weiter, ich mache wieder einen Fehler, Ivan hält sich nicht an toucher et jouer, er stellt meine Figur zurück, ich mache danach keinen Fehler mehr, und unser Spiel endet mit einem Patt.
Für ein Patt bekommt Ivan seinen wohlverdienten Whisky, er schaut befriedigt auf das Schachbrett, weil ich, mit seiner Hilfe, nicht verloren habe, er möchte etwas herausfinden über mich, es habe aber keine Eile. Er sagt nicht, noch immer nicht, was er herausfinden möchte, er gibt mir nur zu verstehen, daß er nicht so rasch zu einem Schluß kommen will, er vermutet zu gerne, vermutet sogar, ich habe ein Talent, er weiß nicht, welches Talent, jedenfalls muß es etwas zu tun haben mit ›Gutgehen‹.
Es sollte dir immer gutgehen.
Aber doch nicht mir, warum denn mir!
Wenn Ivan die Lider zu dreiviertel sinken läßt, mich nur noch durch einen Spalt ansieht aus seinen Augen, die so dunkel, warm und groß sind, daß er auch dann noch immer genug von mir sieht, sagt er, es sei denn, ich hätte auch ein Talent, jemand einzuladen, mir das kaputtzumachen.
Was kaputtmachen? Mein Gutgehen? Welches Gutgehen? Ivan macht eine bedrohliche Bewegung mit der Hand, weil ich etwas Dummes gesagt habe, weil ich etwas nicht heilen lassen will, obwohl es jetzt heilbar wäre. Aber mit Ivan kann ich darüber nicht sprechen, auch nicht, warum ich zusammenfahre bei jeder brüsken Bewegung, ich kann ja noch immer mit ihm kaum sprechen, ich habe nur keine Angst vor Ivan, obwohl er mir beide Arme auf dem Rücken zusammenhält, mich unbeweglich macht. Trotzdem atme ich schneller, und noch schneller fragt er mich: Wer hat dir etwas angetan, wer hat dir solche Dummheiten in den Kopf gesetzt, was ist in deinem Kopf außer diesem dummen Fürchten, ich erschrecke dich nicht, nichts darf dich erschrecken, was bildest du dir ein in deinem Kopf voller Salat und Bohnen und Erbsen, dumme Prinzessin auf der Erbse, ich möchte wissen, nein, ich möchte es nicht wissen, wer das angerichtet hat, dein Zusammenfahren, dein Kopfeinziehen, dein Kopfschütteln, dein Kopfwegdrehen.
Kopfsätze haben wir viele, haufenweise, wie die Telefonsätze, wie die Schachsätze, wie die Sätze über das ganze Leben. Es fehlen
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