Malina
sondern, der anderen wegen, zu Boden schaute, ein Taschentuch aus der Tasche herausholte und flüsternd vorgab, jemand hätte mich getreten. Als ich wieder aufsehen konnte, hatte Malina sich in der Menge verloren.
In Wien suchte ich ihn nicht mehr, ich dachte ihn mir im Ausland, und ohne Hoffnung wiederholte ich meinen Weg zum Stadtpark hinunter, weil ich noch kein Auto hatte. Eines Morgens erfuhr ich etwas aus der Zeitung über ihn, aber es handelte sich in dem Bericht gar nicht um ihn, sondern in der Hauptsache ging es um das Begräbnis der Maria Malina, das eindrucksvollste, größte, das die Wiener, freiwillig und natürlich nur einer Schauspielerin wegen, begingen. Unter den Trauergästen habe sich der Bruder der Malina befunden, der hochbegabte, junge, bekannte Schriftsteller, der nicht bekannt war und dem von den Journalisten rasch zu einem eintägigen Ruhm verholfen wurde. Denn die Maria Malina konnte in den Stunden, als Minister und Hausmeister, Kritiker und stehplatzbesuchende Gymnasiasten in einem langen Zug zum Zentralfriedhof zogen, nicht einen Bruder brauchen, der ein Buch geschrieben hatte, das niemand kannte, und der überhaupt ›niemand‹ war.Die drei Worte ›jung und hochbegabt und bekannt‹ waren zu seiner Einkleidung an diesem Volkstrauertag notwendig.
Über diese dritte unappetitliche Berührung durch eine Zeitung, die es auch nur für mich mit ihm gab, haben wir nie gesprochen, als hätte sie nie etwas mit ihm zu tun gehabt, noch weniger mit mir. Denn in der verlorenen Zeit, als wir einander nicht einmal die Namen abfragen konnten, noch weniger unsere Leben, habe ich ihn für mich ›Eugenius‹ genannt, weil ›Prinz Eugen, der edle Ritter‹ das erste Lied war, das ich zu lernen hatte und damit auch den ersten Männernamen, gleich gefiel der Name mir sehr, auch die Stadt ›Belgerad‹, deren Exotik und Bedeutung sich erst verflüchtigte, als sich herausstellte, daß Malina nicht aus Belgrad kommt, sondern nur von der jugoslawischen Grenze, wie ich selber, und manchmal sagen wir noch etwas auf slowenisch oder windisch zueinander, wie in den ersten Tagen: Jaz in ti. In ti in jaz. Sonst haben wir es nicht nötig, von unseren ersten guten Tagen zu reden, weil die Tage immer besser werden, und lachen muß ich über die Zeiten, in denen ich wütend auf Malina war, weil er mich soviel Zeit mit anderen und anderem vergeuden ließ, darum exilierte ich ihn aus Belgrad, nahm ihm seinen Namen, dichtete ihm mysteriöse Geschichten an, bald war er ein Hochstapler, bald ein Philister, bald ein Spion, und wenn ich besser gelaunt war, ließ ich ihn aus der Wirklichkeit verschwinden und brachte ihn unter in einigen Märchen und Sagen, nannte ihn Florizel, Drosselbart, ich ließ ihn aber am liebsten den hl. Georg sein, der den Drachen erschlug, damit Klagenfurt entstehen konnte, aus dem großen Sumpf, in dem nichts gedieh, damit meine erste Stadt daraus werden konnte, und nach vielen müßigen Spielen kehrte ich entmutigt zurück zu der einzig richtigen Vermutung, daß es Malina tatsächlich in Wien gab und daß ich in dieser Stadt, in der ich so viele Möglichkeiten hatte, ihn zu treffen, ihn dennoch immer verpaßte. Ich fing an, über Malina mitzureden, wenn irgendwo über ihn gesprochen wurde, obwohl es nicht häufig vorkam. Eine häßliche Erinnerung ist das, die mir heute nicht mehr weh tut, aber ich hatte das Bedürfnis, so zu tun, als kennte ich ihn auch, als wüßte ich einiges über ihn, und ich war witzig wie die anderen, wenn man die komische infame Geschichte von Malina und Frau Jordan erzählte. Heute weiß ich, daß Malina nie etwas mit dieser Frau Jordan ›gehabt‹ hat, wie man hier sagt, daß nicht einmal Martin Ranner sich heimlich mit ihr auf dem Cobenzl getroffen hat, weil sie ja seine Schwester war, vor allem aber ist Malina in einem Zusammenhang mit anderen Frauen nichtzu denken. Auszuschließen ist es nicht, daß Malina Frauen gekannt hat vor mir, er kennt ja viele Leute, also auch Frauen, aber es ist völlig bedeutungslos, seit wir miteinander leben; nie mehr kommt mir ein Gedanke daran, denn meine Verdächtigungen und Verwirrungen, soweit sie Malina betreffen, sind zunichte geworden in seinem Erstaunen. Auch war die junge Frau Jordan nicht die Frau, von der lange das Gerücht ging, sie habe den berühmten Ausspruch getan ›Ich treibe Jenseitspolitik‹, als ein Assistent ihres Mannes sie auf den Knien, beim Bodenreiben, überraschte und sie ihre ganze Verachtung für ihren Mann
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