Malka Mai
zuschlug.
Frau Sawkowicza packte Malkas Hand und zerrte sie an den beiden Pferden und dem Wagen vorbei. Dahinter, an einer Hauswand, entdeckte Malka ihre Mutter, die sich mit einem deutschen Offizier unterhielt. Sie riss sich los, rannte hinüber und stellte sich hinter die Mutter. Niemand achtete auf sie.
»Alle werden weggebracht«, sagte der Deutsche leise zu ihrer Mutter. »Alle Juden des Bezirks werden umgesiedelt.«
»Auch diejenigen, die für die Deutschen arbeiten?«, fragte die Mutter.
Er nickte.
»Ich auch?« Malka hörte, dass die Stimme ihrer Mutter anders klang, seltsam hoch und gepresst.
Der Deutsche nickte. »Jude ist Jude, da werden keine Unterschiede gemacht.« Dann sagte er so laut, dass seine Kameraden es hören mussten. »Kümmern Sie sich jetzt um Ihren Patienten, Frau Doktor, wir holen Sie später.« Und leise fügte er hinzu: »Laufen Sie weg, Frau Doktor, sofort. Sie müssen über die Grenze.«
Die Mutter nickte, drehte sich um und stolperte fast über Malka, die hinter ihr stand und ihr die Glockenblumen hinhielt. Wegen der Hitze ließen sie schon die Köpfe hängen. Die Mutter riss Malka die Blumen aus der Hand und packte sie am Arm. »Komm«, zischte sie und zog Malka hinter sich her die Straße hinauf. Die Blumen ließ sie einfach fallen.
Malka wagte nicht zu protestieren, der Griff ihrer Mutter war ungewohnt hart, ihre Hand war heiß und nass. Sie zerrte sie hinter sich her ins Haus, die Treppe hinauf zum Zimmer des Kranken, dort stellte sie sich ans Fenster. Malka blieb an der Tür stehen und starrte den Mann an, der im Unterhemd im Bett lag, die Decke bis zur Brust hochgezogen. Seine Arme auf dem blau karierten Bezug waren bis zur Mitte des Oberarms braun verbrannt, genau wie sein Gesicht und sein Hals. Die Haut an Schultern und Brust jedoch war weißlich wie Hefeteig und über dem Ausschnitt des olivfarbenen Unterhemds ringelten sich braune und graue Haare. Das sieht eklig aus, dachte Malka, der deutsche Offizier ist viel schöner, in seiner Uniform, die bis zum Hals geschlossen ist.
Ihre Mutter stand neben dem Fenster und hielt den dunklen Vorhang nur so knapp zur Seite, dass sie hinausschauen konnte, ohne von unten gesehen zu werden. Durch den Spalt fiel ein Sonnenstrahl auf ihr Gesicht und teilte es in der Mitte. Malka wollte zu ihrer Mutter hinlaufen und sich an sie schmiegen, doch eine heftige Handbewegung scheuchte sie vom Fenster weg.
Malka schaute sich um. Über den Ehebetten hing ein Kreuz, schwarz mit goldenem Rand, auf einem der beiden Nachttische lag ein kleines, in dunkles Leder gebundenes Buch. Auf der Kommode mit dem Spiegel standen eine Wasserschüssel und eine Kanne aus weißem Porzellan, daneben lag ein Kamm. Den Platz zwischen dem Fenster und der Wand mit der Tür nahm ein großer Kleiderschrank aus hellem, gelblich gemasertem Holz ein. Der Bauer war bestimmt ziemlich reich, Malka kannte den Unterschied, sie hatte früher, als sie noch Dienstmädchen hatten, oft genug mit ihnen die Häuser ihrer Eltern besucht, Hütten, die manchmal nur aus einem einzigen Raum bestanden. So ein Schlafzimmer hatte sie bei ihnen nie gesehen, noch nicht einmal bei den Wolynskis, Zofias Eltern, die ein richtiges Haus aus Ziegelsteinen besaßen.
Von draußen war lautes Holpern zu hören, die Hufe von Pferden, die auf das Straßenpflaster schlugen, das Knallen einer Peitsche. Die Mutter ließ den Vorhang sinken, der Lichtstreifen glitt von ihrem Gesicht über ihren Hals hinunter zu dem blauen Kleid und verschwand. »Sie sind weg«, sagte sie zu dem Mann im Bett. »Wir müssen fliehen, nach Ungarn. Wie kommen wir über die ungarische Grenze?«
Der Bauer schaute die Mutter lange an. Malka blickte von einem zum anderen, sie spürte die Spannung, die im Raum hing, hatte auch die Verzweiflung in der Stimme ihrer Mutter gehört und wusste, dass sie jetzt besser den Mund hielt.
»Bei mir arbeitet ein junger Ukrainer«, sagte der Bauer schließlich. »Er wird Sie zur Grenze bringen.«
Malka tastete mit der Hand über ihre Rocktasche. Liesel war noch da.
Sie liefen hinter Iwan her , dem jungen Ukrainer. Minna weinte leise. Hanna warf ihr von der Seite einen Blick zu, offenbar wurde auch ihrer großen Tochter langsam klar, was ihnen bevorstand. Hanna fiel nichts Tröstliches ein, was sie ihr sagen könnte, außerdem war sie selbst vor Angst so gereizt, dass sie Minna anfuhr, sie solle sich gefälligst zusammenreißen. Doch da sah sie Malkas erschrockenes Gesicht und dachte: Verdammt,
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